Twitters neue Regeln klingen, als ob im November bürgerkriegsähnliche Zustände in den USA ein durchaus zu erwartender Zustand wären, besonders im Falle eines Wahlsiegs von Joe Biden. Ab der kommenden Woche werde man unter anderem Tweets löschen oder markieren (und damit in ihrer Reichweite beschränken), in denen jemand «zu ungesetzlichem Handeln aufruft, um den friedlichen Machtübergang zu verhindern», gab das Unternehmen am Donnerstag bekannt. Das Gleiche gelte für Tweets von Kandidaten, die ihren Wahlsieg verkünden, bevor das Wahlergebnis offiziell bestätigt ist, sowie für nicht verifizierte Behauptungen über Wahlbetrug.
Für eine Demokratie, in der Wahlniederlagen selbstverständlich sein sollten, sind das bemerkenswert düstere Formulierungen. Aber sie dürften letztlich die Reaktion auf Szenarien sein, die in den USA seit Wochen und Monaten durchgespielt werden: Was passiert, wenn Gerüchte, Falschmeldungen oder gar Aufrufe zu Gewalt am Wahlabend durch die sozialen Netzwerke schwappen? Wie groß ist die Gefahr, dass sich das dann auf den Straßen entlädt? Was können Twitter, Facebook, YouTube und andere zur Vorbeugung tun?
Twitter jedenfalls will «jedem Versuch — sowohl aus dem Ausland wie auch dem Inland», seinen Dienst im Zusammenhang mit Wahlen zu missbrauchen, «mit strikter Durchsetzung unserer Regeln begegnen».
Der Satz verdeutlicht den vielleicht wichtigsten Unterschied zwischen 2016 und 2020. Vor vier Jahren hatten verschiedene russische Akteure mit Hacks gegen Kampagnenmitarbeiter und Wahlinfrastruktur sowie mit den in Robert Muellers Bericht beschriebenen Social-Media-Kampagnen versucht, die Präsidentschaftswahl zu beeinflussen und gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.
Twitter sperrt die «Oath Keepers»
Sowohl versuchte Hacks als auch Desinformationsnetzwerke gibt es auch 2020. Aber zum einen machen US-Behörden, -Unternehmen und -Medien einen widerstandsfähigeren Eindruck als damals. So half zum Beispiel das FBI kürzlich bei der Aufdeckung eines Netzwerks auf Facebook, lange bevor es eine nennenswerte Reichweite erzielen konnte. Die Berichterstattung darüber wurde von Experten als angemessen nuanciert bezeichnet.
Zum anderen sind es 2020 insbesondere US-Bürger, die den Netzwerken Sorgen bereiten. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg schrieb vorige Woche: «Wir sehen zunehmend Versuche von innerhalb unserer eigenen Landesgrenzen, die Legitimität unserer Wahlen zu unterminieren».
Er versprach auch, verstärkt gegen «Milizen und Verschwörungsnetzwerke wie QAnon» vorzugehen, die genutzt werden könnten, um Gewalt und Bürgerunruhen in der Phase nach den Wahlen zu organisieren».
Twitter wiederum, hat am Donnerstag die Accounts der «Oath Keepers» und ihres Gründers Stewart Rhodes gesperrt. Die rechtsextreme Gruppierung hatte auf Twitter kürzlich einen «offenen Krieg gegen die marxistischen Aufständischen zur Wahlnacht» angekündigt.
Es muss nicht so kommen. Von Online-Aufrufen und der Interaktion mit solchen Inhalten bis zum «offenen Krieg» ist es ein weiter Weg. Und selbst wenn die Situation tatsächlich eskalieren sollte, wird es möglicherweise schwer bis unmöglich sein, das auf einzelne Online-Beiträge oder überhaupt auf «das Internet» zurückzuführen. Aber so stolz die Netzwerke auf ihre Funktion bei den Aufständen im Arabischen Frühling gewesen sein mögen — mit Aufständen im eigenen Land wollen sie ganz sicher nicht in Verbindung gebracht werden.
Source: spiegel.de
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