Als Anfang Februar der FDP-Politiker Thomas Kemmerich sich in Thüringen mit den Stimmen von CDU, FDP und der AfD von Rechtsaußen Björn Höcke zum Ministerpräsidenten wählen ließ, war die Kanzlerin gerade in Südafrika unterwegs.
Angela Merkel ahnte schnell, dass die Wahl im Erfurter Landtag auch von ihr eine Stellungnahme abverlangte. Schockwelle gingen durch die Republik, Erinnerungen an Verhältnisse wie in der Schlussphase der Weimar Republik wurden bei manchen Beobachter wach.
Auf einer Pressekonferenz am 6. Februar, einen Tag nach der Wahl, kommentierte Merkel neben dem Präsidenten Cyril Ramaphosa von Pretoria aus den Vorgang. «Mit einer Grundüberzeugung» sei dadurch gebrochen worden, «für die CDU und auch für mich», sagte Merkel. Dass, so fuhr sie fort, «nämlich keine Mehrheiten mithilfe der AfD gewonnen werden sollen». Der Vorgang sei «unverzeihlich», das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden.
Die Lage in Erfurt sollte sich bald beruhigen. Kemmerich kündigte drei Tage nach seiner Wahl, auch nachdem sich FDP-Chef Christian Lindner nach Erfurt begeben hatte, seinen Rücktritt vom Ministerpräsidentenamt an. Heute regiert in Thüringen wieder eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke).
Die Sätze Merkels aus Pretoria blieben jedoch bis vor Kurzem auf der Internetseite der Kanzlerin und der Bundesregierung in Ausschnitten und in Protokollen enthalten. Einen Vorgang, gegen den die AfD bereits im Juli mit zwei Organklagen, die als Eilanträge versandt wurden, vor das Bundesverfassungsgericht zog. Es gehe darum, «die fortdauernden Rechtsverletzungen von Regierung und Kanzlerin unverzüglich abzustellen», so der AfD-Bundesvorstand damals.
Nun hat die Bundesregierung, noch vor dem eigentlichen Hauptsacheverfahren in Karlsruhe, die Ausschnitte und Protokolle Merkels von beiden Internetseiten — die der Kanzlerin und der Regierung — nehmen lassen.
Auf Anfrage des SPIEGEL bestätigte ein Sprecher des Bundespresseamts den Vorgang. Die Mitschrift der Pressekonferenz sei «von den Webseiten der Bundesregierung lediglich mit Blick auf das derzeit anhängige Eilverfahren entfernt und in der Erwartung, dass der Streitgegenstand im noch ausstehenden Hauptsacheverfahren umfassend geklärt wird». Dies ändere nichts an der Rechtsauffassung bezüglich der Äußerungen der Kanzlerin und der Dokumentation der Pressekonferenz auf den Webseiten der Bundesregierung. Im Übrigen, so der Sprecher weiter, äußere man sich nicht zu anhängigen Gerichtsverfahren.
Die AfD, die auf die Löschung am Freitag hingewiesen hatte, erklärte, nun blieben die beiden Hauptsacheverfahren abzuwarten, mit denen endgültig die Rechtswidrigkeit der staatlichen Maßnahmen festgestellt werden solle. «Wer als Regierungschefin während eines offiziellen Staatsbesuches die internationale Bühne nutzt, um das Ergebnis demokratischer Wahlen in Deutschland infrage zu stellen und ein Koalitionsverbot auszusprechen, missbraucht sein Amt und verletzt das Grundgesetz und die darin garantierte Chancengleichheit der Parteien», erklärte am Freitag der AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen.
Ob die AfD auch diesmal in Karlsruhe punkten kann, bleibt indes abzuwarten. Zumindest scheinen dafür Aussichten zu bestehen.
Tatsächlich hatte die AfD in ähnlich gelagerten Fällen in Karlsruhe in der Vergangenheit Erfolg gehabt. Bundesinnenminister Horst Seehofer musste im Juni ein AfD-kritisches Interview von seiner Ministeriumsseite nehmen. «Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt», so die zweite Kammer des Bundesverfassungsgerichts. Insbesondere müsse der Rückgriff auf mit dem Amt verbundene Ressourcen unterbleiben.
Im politischen Meinungskampf, so die Quintessenz des damaligen Urteils, dürfe ein Minister nicht Mittel seines Amtes nutzen, als Parteipolitiker hingegen schon. Seehofer hätte also das Interview auf einer CSU-Seite als CSU-Politiker stellen können — nicht jedoch in seiner Funktion als Minister.
Damals hatte das Bundesinnenministerium versprochen, künftige Veröffentlichungen Seehofers auf der Homepage kritisch zu prüfen. Das sei schade, weil es Bürger gebe, «die sich auch über die Gesamtpersönlichkeit des Ministers informieren wollen», sagte der Parlamentarische Staatssekretär Günter Krings (CDU). Man sei aber erfreut, dass Karlsruhe festgestellt habe, dass auch ein Bundesinnenminister als CSU-Politiker am politischen Meinungskampf teilnehmen könne, auch mit «pointierten, ja, auch harten Äußerungen», so Krings.
Ähnlich hatte Karlsruhe auch im Fall der früheren Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) geurteilt, auch damals hatte die AfD Klage eingereicht. Die CDU-Politikerin hatte 2018 unter anderem über eine geplante Veranstaltung der AfD in einer Presseerklärung auf der Internetseite des Bildungsministeriums geschrieben: «Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub.»
Auch damals hatte Karlsruhe der Partei recht gegeben: Die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung einer Partei durch staatliche Organe, die geeignet sei, eine abschreckende Wirkung zu erzielen und somit Teilnehmer von einer solchen Veranstaltung beeinflussen könne, verletzte das Recht auf Chancengleichheit. Ausdrücklich hatten die Karlsruher Richter festgehalten, dass dies auch außerhalb der Wahlkämpfe gelte. Zudem hieß es: Ein «Recht auf Gegenschlag», mit dem die staatlichen Organe auf «unsachliche oder diffamierende Weise reagieren dürfen», gibt es nicht.
Source: spiegel.de
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