пятница, 24 июля 2020 г.

Taylor Swift, neues Album «Folklore»: Opium fürs Folk

In der Isolation wächst die Fantasie. Zuweilen läuft sie über: Bei Taylor Swift ist sie nach Eigenaussage buchstäblich «wild geworden», die Vorstellungskraft. Das Resultat kündigte die 30-jährige Musikerin vor wenigen Tagen überraschend per Tweet inklusive Umarmungs-Smiley an, es ist ihr achtes offizielles Studioalbum «Folklore», erdacht, geschrieben und produziert in den Wochen des Corona-Lockdowns. In einem «stream of conscioussness» seien die 16 Songs entstanden, sagt Swift,  darunter sind Kollaborationen mit dem Produzenten Jack Antonoff, mit Bon Ivers Justin Vernon – die meisten jedoch mit Aaron Dessner, Kopf von The National.

Und «Folklore» im Sinne des Althergebrachten trifft es tatsächlich: Hatte die geschäftlich gewitzte, ehemalige Country-Königin, deren Gitarrenwahl oft den Verkauf der jeweiligen Modelle befeuerte, sich bislang konsequent weiterentwickelt, sich im Sinne der Madonna-Popschablone mit jedem Album (zumindest ein bisschen) neu erfunden, so macht sie auf «Folklore» ein paar Schritte rückwärts. «Folklore» ist ein musikalisches Zeugnis der Selbstbespiegelung. Eine Reise ins Innere – oder auch das, was passiert, wenn man, so Swift, «in die Erinnerung, die Geschichte und die Fantasie flüchtet».

Kindheit, Liebe, gebrochene Herzen

Swifts Erinnerungen und ihre Geschichte scheinen vor allem – wenig überraschend — von Erfahrungen aus der Zeit vor ihrem Popstarruhm, dem Aufwachsen in verschiedenen Kleinstädten Pennsylvanias geprägt zu sein: Da wird die Kindheit mit einschlägigen Symbolen beschrieben (Schaukel, Zöpfe in «Seven»), Freundinnen, die man mit 17 hatte reminisziert («Betty») sowie die erste, zweite oder dritte Liebe besungen, das erste, zweite oder dritte gebrochene Herz (fast in allen Songs). Es geht, grob gesagt, um das romantische Ich in der Beziehung zum ebensolchen Du — ein nachdenklicher innerer Monolog, den Swift mal zum Klavier, mal zur Gitarre, einmal sogar zur Mundharmonika mit einem imaginären Gegenüber führt.

In der für jede Teenagerzeit obligatorischen «Summer Love» im Song «August» heißt es: «Cancel plans just in case you call/ August sipped away like a bottle of wine/ Back when I was living for the hope of it all» – früher eben, als man von Luft, Liebe und Hoffnung leben konnte. In «My Tears Ricochet» singt sie von Steinen, die man werfen, mit denen man aber auch Diamantenringe schmücken kann. Und im Eingangsstück «The 1» sinniert sie einer (unglücklichen) Liebe hinterher: «It would have been fun if you would have been the 1».

Swifts Zusammenarbeit mit Dessner und Bon Iver wird nur bedingt hörbar, «Mad Woman», geschrieben von Dessner und Swift, könnte man sich textlich noch am ehesten als düster-harmonischen The-National-Song vorstellen: «Women like hunting witches too», singt sie da. «Epiphany», ebenfalls von den beiden, thematisiert verschiedene Fälle von Verlust, Unfall und Tod, ein sinisterer Ausfall auf der Platte.

Wirklich persönlich wird Swift dabei nie: Nach guter alter Popmanier lässt sie ihre Texte durchlässig genug klingen, um von jedem Menschen interpretiert werden zu können. (Auch wenn beinharte Swift-Fans in eine Zeile wie «Give you my wild/ Give you a child» flugs einen geheimen Schwangerschaftswunsch der Künstlerin hineindeuteten und rätseln, welcher ihrer realen Lover in welchem Song sein Fett wegkriegt.)

Das alles ist kohärent und atmosphärisch, könnte in der klanglichen und kompositorischen Anmutung zuweilen an eine etwas hoffnungsfrohere Variante von Madonnas «Frozen»-Phase oder an Lana Del Reys beiläufig-bittere Vorstadtfantasien erinnern – lässt jedoch angesichts der Weltlage und Swifts bisheriger Entwicklung wundern: War Swift, die sich zuletzt deutlich zu brennenden politischen Themen wie Diskriminierung der LGBQT-Bewegung und strukturellem Rassismus äußerte, nicht sukzessive zu einer (spielzeugbunten) Aktivistin geworden? Hatte sich nicht auch in ihrem klassischen Popsound ein starkes Bewusstsein für die Komplexität der Umgebung gezeigt?

Der Nachkriegs-Komödien-Effekt

Darum wirkt Swifts Beschäftigung mit ihrem Inneren auf «Folklore» fast anachronistisch: Zum durch die Coronakrise ausgelösten Lockdown, in dem die schlimmsten Probleme jeder Gesellschaft zutage kommen, schweigt die Künstlerin – ihr Kommentar besteht aus Eskapismus. Man kann das als gelungene Abwechslung interpretieren, schließlich ist kein Künstler, keine Musikerin verpflichtet, im Werk das Außen zu reflektieren. Man kann Swifts Album aber auch als Versuch sehen, die Augen vor der Realität zu schließen, als Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn der momentane Zustand irgendwann einmal vorbei ist: der Nachkriegs-Komödien-Effekt.

Swift könnte mit ihrem überraschenden Emo-Überfall sogar noch eine dritte Intention in der Hinterhand haben: Die Musikindustrie stockt zwar nicht mehr so wie das Filmbusiness, bei dem es durch geschlossene Kinos noch immer an Rezeptionsmöglichkeiten mangelt. Aber wer jetzt eine Platte herausbringt, der wird auf jeden Fall gehört. Ganz egal, ob er oder sie von Sentiment oder von Krise singt.

Icon: Der Spiegel

Source: spiegel.de

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