Gut 1,3 Millionen Auszubildende gibt es in Deutschland. Die meisten davon starten ihre Ausbildung gleich nach dem Schulabschluss. Aber nicht alle: Neben Umschulenden und Quereinsteigern gibt es auch Menschen, die auch mit über 50 Jahren noch eine Ausbildung anfangen. Mit über 50 der oder die Azubi sein, die niedrigsten Dienste erledigen, in der Berufsschule mit lauter 16-Jährigen sitzen und Vollzeit für ein paar Hundert Euro arbeiten — wie ist das und warum macht man das? Wir haben zwei gefragt: Einen Altenpfleger und eine Einzelhändlerin.
Jörg Larisch, 57 Jahre, ist im dritten Jahr der Ausbildung zur Altenpflegefachkraft
«Das Schönste an meinem neuen Beruf? Die Grundpflege, das ist die komplette Körperpflege am Morgen. Die Pflegekunden genießen es sehr, dass ihnen jemand hilft. Diese Dankbarkeit ist das Schönste, was es gibt. Ich finde: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, hat verdient, dass man sich wertschätzend um ihn oder sie kümmert. Da ist mein eigenes Alter auch ein Vorteil: Mit 57 ist es viel einfacher, auf Menschen zuzugehen. Mit meiner Mutter hatte ich neulich eine Diskussion, ihr war es nicht recht, dass zu ihr ein männlicher Pfleger kommt. Ich konnte ihr erklären: Als Mann geht man vielleicht sogar vorsichtiger und respektvoller vor, weil man den weiblichen Körperbau nicht so innig kennt — und wie jemand aussieht, ob er oder sie dick ist oder Falten hat, das ist uns bei der Pflege nun wirklich völlig egal.
Ich bin gelernter Koch und Kellner, hatte sogar ein eigenes Lokal – aber das lief nicht gut. 2002 gab ich auf und kellnerte noch vier Jahre lang, arbeitete kurzzeitig im Callcenter, habe Tickets bei einer Zuggesellschaft verkauft – und kam dann durch Bekannte in die Seniorenbetreuung. Ich habe einen dreimonatigen Kurs gemacht, das fand ich spannend. Mein Praktikum habe ich in der Tagespflege absolviert, da stimmte die Chemie sofort. Die Pflegedienstleiterin fragte mich, was ich nach dem Praktikum machen will. Als ich sagte, ich würde mich gern bei ihr bewerben, meinte sie, das müsse ich nicht, ich könnte sofort anfangen. Das war mit Abstand einer der glücklichsten Momente in den vergangenen zehn Jahren.
«Ich habe meine Ersparnisse zusammengekramt»
Ich habe bald gemerkt: Die Menschen nur zu betreuen war mir zu wenig. Wenn ich mit Kunden spazieren war, hätte ich denen noch nicht einmal helfen dürfen, auf die Toilette zu gehen. Auch Blutdruck messen durfte ich nicht. Also habe ich mich für die Ausbildung entschieden. Ich habe mit der Agentur für Arbeit hin und her verhandelt, aber für eine berufsbegleitende Ausbildung, bei der der Lohn aufgestockt wird, bin ich schlicht zu alt. Also habe ich meine Ersparnisse zusammengekramt und durch 36 Monate geteilt – so weiß ich, was ich jeden Monat zusätzlich zu den 1200 Euro Ausbildungsvergütung ausgeben kann. Ich lebe alleine, in einer Wohnung, die meinem Arbeitgeber gehört, und habe keine hohen Kosten.
Manchmal sagen alte Menschen zu mir: «Ich möchte am liebsten sterben», da antworte ich dann: «Das kann ich verstehen, ich kenne keinen, der zurückgekommen ist und sich darüber beschwert hat, dass es schlecht war.»
Vor dem ersten Tag in der Berufsschule hatte ich schon ein bisschen Bedenken. Aber mittlerweile sind schon drei Azubis dabei, die auch über 40 Jahre alt sind, einer ist über 30. Ich höre oft: Der Beruf sei körperlich so fordernd, warum ich mir das in meinem Alter antue? Ehrlich gesagt: Koch war anstrengender – 12- bis 14-Stunden-Schichten im Hochsommer in einer fensterlosen Küche und alles muss immer ganz schnell gehen.
Nach der Ausbildung will ich weiter hier arbeiten. Ich könnte mir gut vorstellen, dann in die Palliativpflege zu wechseln. Vor vielen Jahren habe ich schon mal im Hospiz gearbeitet, ehrenamtlich. Es hilft mir, dass ich so eine Frohnatur bin; ich will, dass die Kunden es gut haben, aber ich kann mich auch abgrenzen. Manchmal sagen alte Menschen zu mir: «Ich möchte am liebsten sterben», da antworte ich dann: «Das kann ich verstehen, ich kenne keinen, der zurückgekommen ist und sich darüber beschwert hat, dass es schlecht war.» Diese Art von Humor kann helfen.
Ich möchte am liebsten noch 20 Jahre lang arbeiten – wenn ich gesund bin, auch länger. Ich finde es wichtig, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man auch mit über 50 Jahren noch gebraucht wird, und anderen Mut zu machen. Wenn nur vier arbeitslose Menschen an meinem Beispiel sehen, dass dieser Beruf eine erfüllende Option sein kann, dann haben wir schon vier Pflegekräfte mehr.»
«Eine Möglichkeit, aus der Komfortzone herauszukommen»
Saba Rodriguez, 53 Jahre, befindet sich im letzten Lehrjahr der Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau
«Eine Ausbildung mit über 50 ist immer eine Herausforderung. In meinem Fall noch mehr, weil ich in einer Sprache lernen muss, die ich nicht vollständig beherrsche. Ich komme ursprünglich aus Kuba. Ich bin mit einem Deutschen verheiratet und wohne seit acht Jahren hier. In Kuba hatte ich als Netzwerkadministratorin bei einer Bank gearbeitet; auch in Deutschland habe ich erst eine Stelle in der IT gesucht. Aber die Konzepte, Technologien und Bedingungen sind völlig unterschiedlich — und mein Zertifikat wurde nicht anerkannt.
Ich musste mir Zeit nehmen, um zu sehen, was ich in meinem Alter realistisch machen kann. Das ging nicht über Nacht. Ich habe es in der Gastronomie versucht, aber das war nichts für mich. Eine klare Vorstellung hatte ich allerdings: Eine Arbeit, die mit natürlichen Lebensmitteln zu tun hat, könnte mir Freude machen – denn ich habe immer gesund gekocht. Warum also nicht als Verkäuferin in einem Bioladen arbeiten?
Das Leben zeigt einem immer Wege auf, um ein Ziel zu erreichen. Auch wenn das manchmal eine ziemlich holprige Straße sein kann.
Ich habe mehr als ein Dutzend Bewerbungen geschrieben, viele habe ich persönlich abgegeben — und trotzdem oft keine Antwort bekommen. Oder nur eine Standardabsage: «Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre berufliche Zukunft». Aber meine Lebenserfahrung ist: Inmitten von Schwierigkeiten tauchen auch immer Menschen auf, die helfen wollen. Eine Kurskoordinatorin des Forums Berufsbildung machte mich auf eine gemeinsame Veranstaltung einiger Biofirmen aufmerksam. Dort konnte ich mich bei verschiedenen Arbeitgebern vorstellen. Ich habe bei Biocompany angefangen, da konnte ich als Aushilfe arbeiten und parallel einen Sprachkursus besuchen. Nach einem knappen halben Jahr habe ich gefragt, ob ich die Ausbildung machen kann, um mich weiterzuqualifizieren. Es war auch eine Möglichkeit, aus meiner Komfortzone herauszukommen, Leute zu treffen, zu plaudern, unabhängig zu sein und eine Motivation in meinem Leben zu haben.
«Mir gefällt es sehr, etwas Neues zu lernen»
In meiner Filiale bin ich glücklich, mein Chef ist viel jünger als ich, aber er kann super mit Leuten umgehen. Am liebsten bin ich an der Fleischtheke und im Bistro – Brote, Brezeln, Kuchen, die vielen Sorten Wurst und Fleisch, das gefällt mir. Die Kunden fragen viel, wollen Rezepte haben, ich kann Kaffee machen, die acht Stunden gehen schnell herum. Mit den Kunden komme ich auch prima aus. Mit den jungen Kolleginnen und Kollegen in der Berufsschule ist es schwieriger: Die sind jung, ich bin über 50, wir haben nicht dieselben Interessen. Es gibt einfach mehr Trennendes als Verbindendes: Das Alter, die Kultur, die Sprache. Ich mache trotzdem weiter, nach diesem Jahr bin ich fertig.
Was ich dann machen möchte? Hier in Deutschland haben die Leute immer einen Plan – und eine Antwort auf die Frage, wo sie sich in fünf Jahren sehen. Ich bin da ein bisschen anders. Grundsätzlich bin ich immer optimistisch: Ich fühle mich zwar nicht wie 20, aber immer noch jung, und mir gefällt es sehr, immer etwas Neues zu lernen. Mich durch die Ausbildung durchzubeißen, hat meinen Charakter weiter gestärkt. Das ist auch das Gute daran, wenn man schon etwas älter ist und etwas Neues anfängt: Dinge, die mich früher zum Toben gebracht hätten, geben mir heute mehr Kraft. Meine Philosophie ist: Das Leben zeigt einem immer Wege auf, um ein Ziel zu erreichen. Auch wenn das manchmal eine ziemlich holprige Straße sein kann.»
Source: spiegel.de
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