Sechs Tage nach dem ein Großbrand das Geflüchteten-Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos fast völlig zerstört hat, harren noch immer Tausende Menschen auf der Straße und einem Supermarkt-Parkplatz aus. Aus den Habseligkeiten, die ihnen geblieben sind, bauen sich sie sich provisorische Unterkünfte. Eine geregelte Versorgung der Menschen gibt es nicht, die Zustände sind katastrophal.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
«Die Leute haben nach wie vor einfach verdammt wenig. Das Essen ist… Die Qualität ist eine Katastrophe. Ich habe Bilder gesehen, das würde man nicht anrühren. Und die stellen sich dafür an. Stundenlanges Stehen — drei, vier Stunden — für Essen. Zumindest sind ein paar Mediziner vor Ort. MSF hat eine temporäre Klinik aufbauen können, um ein paar Leute zu behandeln. Sanitäranlagen gibt es nicht. Es gibt keine Toiletten, keine Duschen. Die Leute haben angefangen, Abwasserleitungen anzuzapfen und teilweise auch dieses Wasser zu trinken, weil sie einfach nichts zu trinken bekommen.»
Am Sonntag hat die griechische Regierung ein erstes Notlager geöffnet, 300 Migranten sind dort bereits eingezogen. Platz für alle etwa 12.000 Migranten, die durch den Brand obdachlos geworden sind, gibt es nicht und die Stimmung ist misstrauisch – viele befürchten, dass ihre Situation auf dem teils mit Stacheldraht umzäunten Militärgelände noch hoffnungsloser wird. Aufgrund der Corona-Auflagen dürfen die Migranten das Camp nach Einzug nicht mehr verlassen.
Masoud, Geflüchteter aus Afghanistan
«Wir brauchen Hilfe, von allen Ländern, von Europa. Wir können nicht hierbleiben, das hier ist ein Gefängnis. Es gibt kein Camp. Sie bauen ein neues Camp, alle Menschen kommen ins Gefängnis, nicht ins Camp, sie sind im Gefängnis, wir kommen nicht wieder raus. Wir haben kein Badezimmer, keine Toilette, kein Essen.»
Niklas Fischer, Mission Lifeline
«Die Leute sind komplett verzweifelt, die wissen, sie wollen da einfach nicht rein, haben aber auch keine andere Möglichkeit. Und es ist auch in gewisser Form eine gewisse Erpressung, die da stattfindet, weil es in diesem neuen Lager ja eine Grundversorgung an Essen gibt. Und die Leute sind so zermürbt, dass sie wirklich sagen: «Okay, dann scheißen wir drauf — auf gut Deutsch gesagt, und dann gehen wir rein. Die wollen da nicht rein, die wollen da nicht sein. Es gibt Leute, die haben gesagt, sie wollen wirklich lieber wieder in ihre Heimatländer zurück, auch wenn dort Krieg ist. Das ist denen egal. Die wollen einfach alle aus dieser Hölle raus.»
Schon lange wächst der Unmut der griechischen Bevölkerung auf Lesbos über die Situation. Einige Bewohner vor Ort helfen, andere sind erschöpft und genervt von dem Dauerzustand, den das eigentlich temporär errichtete Geflüchteten-Camp nach 5 Jahren angenommen hat. Es kam in der Vergangenheit vermehrt zu Hetzjagden durch Rechtsradikale auf Migranten. In der aktuellen Situation droht eine Zuspitzung dieses Konflikts.
Niklas Fischer, Mission Lifeline
«Ich bin heute Morgen durch die Stadt Mytilini gegangen und habe dort verhältnismäßig viele Migranten gesehen. Und in dem Moment treffen diese Welten von Locals und von Migranten aufeinander. Und man braucht einfach nur die Locals, die Einheimischen und natürlich nicht alle… aber in gewissen Blicken von Leuten sieht man, wie die Wertschätzung, der Respekt gegenüber den Leuten ist. Und ehrlich gesagt, habe ich so ein bisschen die Sorge, dass sich das vermehrt, dass noch mehr Leute in die Stadt kommen, dass sich die Stimmung noch weiter aufheizt und es dann zu weiteren Gewaltausbrüchen, Gewalt kommt.»
Wie viele Menschen in neuen Lagern auf der Insel Lesbos Platz finden und wohin die andere gebracht werden können, ist noch unklar. Bislang berät die EU über die Aufnahme von gerade einmal 400 unbegleiteten Jugendlichen – in und um das abgebrannte Camp leben über 12.000 Menschen. Nach einer europäischen Lösung, bei der weitere Menschen auf die Mitgliedstaaten verteilt würden, sieht es derzeit nicht aus.
Source: spiegel.de
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