Sie sind Geflüchtete, Obdachlose, Arbeitslose, aus Italien und Ghana und Nigeria und Burkina Faso, und sie leben jetzt alle zusammen in einer großen Villa.
In der Villa Roth nämlich, einem Haus mit beiger Farbe und zwei Stockwerken, mit vier Säulen vor dem Eingang wie im alten Rom, in der Via Canonico Annibale Maria di Francia, Nummer neun, in Bari, Italien. Und das kam so:
Ende November 2011 hatten sich Aktivisten und Obdachlose im Stadtteil San Pasquale in Bari verabredet, sie schlossen sich zusammen, dann besetzten sie die Villa Roth, jenes Haus mitten in der Stadt, das einmal eine Schule beherbergt hatte und seit Jahren leer stand.
Die Protestierenden verfolgten ein Ziel: Menschen ein Zuhause zu geben, die keines haben.
In den Jahren darauf kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Behörden. Weil die Villa Roth in öffentlicher Hand ist, wird das Haus geräumt, Bewohner und Aktivisten werden festgenommen, dann geht die Besetzung von Neuem los. Die Villa Roth landet oft in den lokalen Zeitungen.
Besetzung als legitimes Mittel der Kritik?
Hausbesetzungen sind ein radikales, politisch umstrittenes Werkzeug gegen Wohnungsnot, auch in Deutschland: 1970 okkupierten linke Jugendliche und Sozialarbeiter in der Roßstraße ein Jugendzentrum. Es gab den «Frankfurter Häuserkampf» — und die West-Berliner Instandbesetzungsbewegung in den Achtzigern, um Spekulanten aus Kreuzberg zu vertreiben.
An Pfingsten 2018 besetzten Aktivisten Wohnungen in der Bornsdorfer Straße, wieder Berlin. Sie protestierten gegen die Wohnungsnot, Gegner werfen ihnen Hausfriedensbruch vor. Viele Besetzer waren Studierende, die die Wohnhäuser gemeinsam mit Wohnungslosen und Geflüchteten leben wollten. Ähnlich wie in Bari.
Dort, in der Villa Roth, einigte sich 2016 die Stadtverwaltung von Bari mit den Hausbesetzerinnen. Die Menschen können bleiben, aus dem besetzten Haus wird die «Community of Villa Roth». Das Projekt hat sich seitdem zu einem wichtigen Schutzraum für Menschen entwickelt, die in Notsituationen geraten, nicht mehr nach Hause können — oder keine Wohnung haben, Obdachlose.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen veröffentlichte im Jahr 2018 einen Bericht, wonach 10.000 Migranten allein in Italien in «informellen Siedlungen» leben; auf der Straße, unter Brücken, in den Winkeln der Bahnhöfe. Aber auch Italiener und Italienerinnen sind durch die in vielen Regionen schwache Wirtschaft von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bedroht. 1,2 Millionen Kinder in Italien leben in akuter Armut. Die Coronakrise hat die Situation noch einmal verschärft.
Die Fotojournalisten Giacomo Sini und Alessia Manzi haben die Bewohner der Villa Roth mehr als eine Woche begleitet. Wie leben Menschen unter einem Dach, die aus den unterschiedlichsten Ländern kommen und aus den unterschiedlichsten Gründen ihr Zuhause verlassen haben? Kann das gut gehen?
Sie trafen junge Bewohner wie Hassen, einen Geflüchteten aus Ghana. Sie trafen Mimma, 57 Jahre, die 2015 mit Mann und Tochter in der Villa Roth Schutz fand, nachdem der Mietvertrag ihrer Wohnung gekündigt worden war und sie die Nächte in einem Zelt verbracht hatten. Und sie trafen Omar aus Burkina Faso, der gern auf dem großen Platz vor der Villa Fußball spielt.
«Das Leben in der Villa ist kein Paradies», sagt Sini, aber vieles funktioniere hier besser als in den staatlichen Flüchtlingsunterkünften. «Die Bewohner in der Villa organisieren sich selbst — und sie leben mitten in der Stadt, in einem angesagten Viertel, es gibt viel mehr Austausch mit den italienischen Bürgern als in den Camps außerhalb Baris.»
Lesen Sie die Geschichten der Villa Roth in der Fotostrecke:
Source: spiegel.de
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