суббота, 5 сентября 2020 г.

Halle-Anschlag: Nebenklägerin sagt, was sie von Deutschland erwartet

Christina Feist, Überlebende des Anschlags von Halle

«Halle wird mich für den Rest meines Lebens begleiten und es kann einfach nicht sein, dass wir uns dann nach ein paar Wochen nach einem Attentat einfach weiter bewegen und sagen: «Okay, das ist jetzt abgehakt, weiter geht’s.» Nein, es geht nicht weiter. Es geht für die Betroffenen eben nicht normal, einfach so weiter. Und es kann nicht sein, dass der Rest des Landes oder zumindest die Mehrheit sagt: «Ja, okay, wir haben uns jetzt kurz um euch gekümmert, das reicht jetzt.» Das geht so nicht.

Mir ging es und geht es auch immer noch eigentlich darum, dass mir klar geworden ist, dass dieser Prozess eine Plattform ist, wo wir nicht nur über dieses Attentat und diesen Täter sprechen können, sondern auch über das, was dahinter steht, über das größere Ganze. Das heißt rechtsradikale Ideologie, Antisemitismus, die in Deutschland ein riesengroßes Problem sind und zumindest in meiner Wahrnehmung niemand wirklich spricht darüber. Niemand nimmt das ernst. Es ist aber auch nichts Neues.

Antisemitismus ist in Deutschland ein historisch gewachsenes Problem, dass ist wesentlich älter als der Zweite Weltkrieg, als die Shoah. Antisemitismus ist in Deutschland zutiefst historisch verwurzelt, und ich bin eine große Verfechterin von Bildungen. Und es muss ein groß angelegtes Bildungsprogramm geben, das wirklich jede einzelne Person in diesem Land erreicht, jede Bevölkerungsschicht, jede Altersgruppe, jede einzelne Person, damit einfach einmal ausgegraben wird und um gewühlt wird, wo dieses Denken überhaupt herkommt. Ich merke das sehr sehr oft, dass allein schon die sprachliche Sensibilisierung fehlt. In Deutschland, wo auf Schulhöfen «Du Jude» als Beleidigung gilt, kann es nicht sein, dass es heißt Jemand ist ein Jude, das ist negativ konnotiert. Das gilt als Beleidigung, und es ist nicht in Ordnung. Und die korrekte Formulierung heißt dann: Jemand ist jüdischen Glaubens oder jemand ist jüdisch. Das ist vollkommen ausreichend. Man muss es nicht so kategorisieren.

Ich sehe auch, dass es unglaublich wichtig ist, sich mit anderen betroffenen Minderheiten oder auch nicht zu solidarisieren und zu sagen: Hey, wir lassen euch nicht alleine. Ich merke aber auch, dass sich bei mir eine viel, viel größere Sensibilität eingestellt hat für Situationen im Alltag. Gerade wenn ich wildfremde Menschen auf der Straße sehe, wo ich mir nicht sicher bin, wo die Stimmung ein bisschen komisch ist. Ich habe eine unglaubliche Sensibilität dafür gleich hinzugucken, zu gucken okay. Sind diese Personen in Ordnung? Ist es vielleicht ein sexueller Übergriff, ein rassistische Übergriff? Ist es Diskriminierung? Und wenn ich das Gefühl habe, dass es so ist, dann mische ich mich jedes Mal ein, jedes Mal. Weil das ist auch etwas, was ich gelernt habe: Zivilcourage anscheinend ist ein Fremdwort in diesem Land. Und das finde ich unglaublich. Es passieren so oft antisemitische und rechtsradikal motivierte übergriffe, wo immer Menschen dabei stehen, drum herum stehen, und niemand mischt sich ein. Niemand tut etwas. Und im Nachhinein erklären dann alle: «Ja, es war schon schlimm.» Da sind dann alle entsetzt. Aber so funktioniert es nicht. Wenn Sie etwas sehen, müssen Sie sich einmischen. Sie sollen sich nicht selbst in Gefahr bringen. Aber sie müssen etwas tun. Sie können nicht einfach daneben stehen und zugucken.

Es gibt seit Jahrzehnten Vertreter und Vertreterinnen von diversen Minderheiten, die sagen: «Hey, es gibt ein Problem, hey, wir werden diskriminiert. Hey, es gibt Rassismus, ihr müsst uns helfen.» Es passiert nur leider nichts. Was ich bis jetzt erlebt habe, auch in meiner Beobachtung in den letzten Jahren ist eigentlich: Es gibt einen Vorfall, einen Übergriff, antisemitisch, rechtsradikal, motiviert. Und dann gibt es natürlich Solidaritätsbekundungen. So ist es ja nicht, und ich bin auch sehr dankbar dafür. Ich finde das sehr wichtig. Die kommen aus der Bevölkerung, die kommen von der Regierung, von oben sozusagen. Das ändert nur leider nichts daran, dass dann die Minderheiten zwar gefragt werden: Was braucht ihr? Wir wollen euch helfen.

Und man sagt es den Menschen, die fragen, man sagt es der Regierung, man sagt es den Politikern und Politikerinnen. Aber es wird nichts in die Tat umgesetzt.

Ich habe immer noch das Gefühl, dass es immer noch mit einem Fragezeichen versehen ist, wenn wir sagen: «Hey, Antisemitismus ist ein Problem.» Und ich habe nicht das Gefühl, dass wir seitens der Regierung dann zu hören bekommen: «Ja, ihr habt recht, wir machen jetzt was.» Sondern es ist mehr seine Rückfrage: «Wirklich, seid ihr euch sicher?» Und es passiert seit Jahrzehnten.

Das heißt, was ich mir von diesem Prozess tatsächlich wünsche, ist, dass jetzt endlich der Anstoß ist, dass es jetzt endlich genug ist. Es ist schon längst viel zu spät. Das hätte viel, viel früher passieren müssen. Das ist aber jetzt auch nicht mehr der Zeitpunkt zu diskutieren. Es ist jetzt der Zeitpunkt, dass Regierung, Politiker wie auch die Menschen, die in Deutschland leben, die Gesellschaft sagt: «Okay, die haben recht. Wir haben hier einen Fehler gemacht. Wir haben nicht zugehört, wir haben sie nicht ernst genommen, und wir müssen jetzt sofort anfangen, Dinge zu tun. Wir müssen jetzt anfangen, ihnen zu helfen, und nicht erst lang darüber diskutieren.»

Source: spiegel.de

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