So kennt man ihn gar nicht: Markus Söder schweigt. Gemeinhin hat der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident schnell das erste Wort, gern auch das letzte, und zwischendrin auch noch so einige. Als es im März etwa darum ging, welche Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona zu ergreifen sind, da konnte Söder nicht abwarten, was die Beratungen mit den anderen Länderchefs und der Kanzlerin ergaben, sondern verkündete seine Ideen vorab. So ist das immer: Söder prescht vor, die anderen sehen nur noch eine Staubwolke.
Umso ungewöhnlicher die Ansage der Moderatorin des Deutschlandfunks am Montagmorgen. Die Nachricht des Tages war der Neustart der Suche nach einem Endlager für den deutschen Atommüll. Im Prinzip, so steht es im ersten Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung, kommt nach bisherigen Erkenntnissen etwa die Hälfte des Landes für eine finale Atomdeponie in Betracht. Und damit auch sieben Standorte in Bayern, darunter sogar Söders Heimatstadt Nürnberg. Über ein Endlager auf dem eigenen Gebiet wollte man im Freistaat bisher nicht einmal diskutieren. Da wäre es doch interessant, mit dem bayerischen Ministerpräsidenten darüber zu reden, ob sich das jetzt ändern wird. Eigentlich, sagte also die Moderatorin, sei sie jetzt mit Markus Söder zum Interview verabredet. Doch der habe leider abgesagt.
Doktor Söder und Mister Markus
Markus Söder zog es vor, sich keinem Interview zu stellen. Das ist nachvollziehbar, denn er kann bei diesem Thema nur verlieren. Für keinen Politiker ist die Endlagerdebatte so toxisch wie für ihn.
Erst am Mittag meldete sich der bayerische Ministerpräsident zu Wort — mit dem Versuch, seine Ablehnung als konstruktive Kritik zu verkleiden. Bei dem jetzt angewandten Verfahren entstehe enorme Verunsicherung im Land. Im Freistaat gebe es eine «Menge an Fragen» und eine «große Portion» Skepsis. Eine bayerische Totalblockade schloss Söder allerdings aus, vielmehr wolle man eine eigene wissenschaftliche Perspektive und auch das politische Gewicht der Staatsregierung und der Parteien einfließen lassen.
Eine klare Antwort auf die Frage, ob der deutsche Atommüll auch in Bayern vergraben werden könnte, kann Söder nicht geben. Er müsste dafür die schillernde Doppelrolle aufgeben, in der er derzeit auf der politischen Bühne Erfolge feiert: Doktor Söder und Mister Markus.
Da ist zum einen der Landesvater und CSU-Chef, volksnah und allein dem Freistaat verbunden und verpflichtet. Dieser Söder ist, um Ministerpräsident zu werden, eine Koalition mit den Freien Wählern eingegangen und im Regierungsvertrag steht: «Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Endlager ist.»
Man darf davon ausgehen, dass der Landes-Söder auch ohne diese Koalition strikt gegen ein Atomklo im Freistaat gewesen wäre. Atomstrom gern, aber den Müll nehmen andere — das war schon immer eine bei den heimischen Wählern populäre Position, für deren Durchsetzung man sich als erfolgreicher Verteidiger der schönen Landschaft gegen die drohende Verstrahlung feiern lassen kann.
Da gibt es aber andererseits seit einiger Zeit auch den Bundes-Söder, einen erstaunlich seriösen Politiker, der sich längst nicht nur für Bayern, sondern für das Wohl der gesamten Republik interessiert. Dieser Söder hat etwa jüngst mit dem Vorschlag einer bundesweit geltenden Corona-Ampel von sich reden gemacht. Es mag an der Schwäche der anderen Kandidaten liegen, eine Mehrheit traut dem Gesamt-Söder derzeit jedenfalls sogar zu, für die Union als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf zu ziehen und erfolgreich um die Nachfolge Angela Merkels zu kämpfen.
Diese Doppelrolle konnte Söder bisher nur deshalb einigermaßen glaubhaft spielen, weil er, wenn er gefragt wurde, stets jede bundespolitische Ambition abstritt. Das tat er aber stets dermaßen kokett, dass jedem politischen Beobachter klar war: Söder hält sich selbstverständlich für den besten Kanzlerkandidaten. Er will aber von der CDU gebeten werden, diesen Posten zu übernehmen.
Unwählbar für alle außerhalb Bayerns
Die Endlagerfrage beendet Söders komfortablen Schwebezustand: Er müsste jetzt Farbe bekennen. Zeigt er sich jedoch allzu verhandlungsbereit oder zumindest offen für die Möglichkeit, den deutschen Atommüll in bayerischem Granit zu versenken, dann riskiert er seine bayerische Koalition.
Ärger mit der eigenen Partei und den Wählern wäre ihm gewiss. Bleibt er bei der in seinem Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ablehnung, dann wird niemand mehr auf die Idee kommen, ihn als nächsten Bundeskanzler plakatieren zu wollen. Ein egoistischer, populistischer «Bayern first»-Politiker würde im Wahlkampf zurecht als Provinzling abgestempelt werden. Für alle außerhalb Bayerns wäre Söder unwählbar.
Also muss Söder, sonst nie um markige Ansagen verlegen, sich durchwursteln. Keine Blockade, das Wort verbietet sich für einen Mann mit bundespolitischen Aussichten, aber das ganze bayerische Gewicht gegen das Endlager. Und eigene bayerische Forschung, die, da droht wohl kaum eine Überraschung, den bayerischen Boden nach ausführlicher Begutachtung als gänzlich ungeeignete Lagerstätte identifizieren wird. Söders Mahnung, es dürfe «keine politisch motivierte Entscheidung» geben, darf in diesem Zusammenhang als Selbstgespräch verstanden werden.
Bayern werde die Debatte «mit langem Atem führen», kündigte Söder an. Deutlicher hat das sein Koalitionspartner Hubert Aiwanger formuliert, der am Morgen statt Söder zum heiklen Atom-Interview antrat. Aiwanger konnte da ohne jede bundespolitische Ambition davon berichten, dass seine Freien Wähler sowieso immer gegen die Atomkraft waren. Und ansonsten darauf verweisen, dass er schon längst im Greisenalter sein werde, wenn immer noch nach einem Endlager gesucht wird.
Offenbar hofft auch Markus Söder, das Verfahren zur Endlagersuche ausbremsen, in die Länge ziehen und letztlich aussitzen zu können — wenn schon nicht bis zur Rente, dann doch bis mindestens nach der Bundestagswahl. Diese Verzögerungstaktik werden ihm seine politischen Gegner kaum durchgehen lassen.
Source: spiegel.de
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