1. Die Angst vor der Polizei
Der US-amerikanische Arzt Arturo E. Holmes II trägt seinen OP-Kittel oft auch in der Freizeit, wie er vor einiger Zeit in der «Washington Post» schilderte: «Es geht darum, mich selbst zu schützen.» Nicht vor dem Coronavirus, sondern vor Polizeigewalt. Als Schwarzer erlebe er in seiner Arbeitskleidung weniger Übergriffe durch Beamte und Sicherheitskräfte. Der Artikel machte mich beklommen, daran musste ich denken, als ich die Berichte las über die Gewalt in Kenosha, Wisconsin.
Dort wurde Jacob Blake, ein schwarzer Familienvater, bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei schwer verwundet. Sieben Kugeln trafen ihn in den Rücken. Er überlebte, wird aber vermutlich gelähmt bleiben. Wie es zu dem Vorfall kam, ist noch ungeklärt. Nach den Schüssen gab es Ausschreitungen und Plünderungen. In der Nacht zum Mittwoch starben zwei Menschen durch Schüsse, die Polizei nahm einen 17-Jährigen als mutmaßlichen Täter fest.
Mein Kollege Ralf Neukirch berichtet, wie der Fall die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt neu befeuert, die im Mai aufflammten, als ein weißer Polizist dem Schwarzen George Floyd in Minneapolis sein Knie ins Genick drückte und ihn tötete. Ralf analysiert auch, wie Donald Trump den Konflikt ausschlachtet: «Der Präsident glaubt, dass er von den Unruhen profitiert. Seine Zielgruppe sind die Menschen in den Vorstädten. An sie richtet sich seine ‘Law and Order’-Botschaft.»
2. Hört, hört, Deutschlands bekanntester Virologe sendet wieder
Manchmal stelle ich mir vor, eine Kollegin oder ein Kollege hätte Anfang des Jahres vorgeschlagen: Lasst uns einen täglichen Podcast mit diesem Grundlagenforscher von der Charité produzieren, diesem renommierten Virologen mit dem Allerweltsvornamen, der sich auskennt mit dem neuen Coronavirus. Wir sprechen mit ihm über Studienergebnisse und Begutachtungsprozesse. Wir erklären Fachbegriffe, die Polymerase-Kettenreaktion und die sekundäre Attack-Rate. Wir geben Nachhilfe in Exponentialrechnung und senden, solange es eben dauert.
Ich wünschte, ich hätte gesagt: Super Idee, das sollten wir machen! Aber mit höherer Wahrscheinlichkeit hätte ich geantwortet: Wir sind hier nicht an der Volkshochschule. Beim NDR hatten sie zwei Vorteile: die Idee und jemanden, der entschied, es zu machen. So wurde das Corona-Update mit Christian Drosten während der Pandemie zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Podcasts, der Virologe selbst zum Star, vielleicht sogar zum Mann des Jahres, auch wenn er glaubhaft versichert, der Rummel um seine Person gehe ihm auf die Nerven. (Ein SPIEGEL-Gespräch aus dem Sommer lesen Sie hier.)
Jetzt hat der NDR mitgeteilt: Drosten beendet seine sommerliche Sendepause. Ab kommender Woche wird er wieder zu hören sein, nicht mehr täglich oder wenigstens alle zwei, drei Tage, sondern immer dienstags im Wechsel mit der Virologin Sandra Ciesek. «Für mich war es einfach ein Wunsch, das in geringerer Frequenz zu machen», so zitiert der Sender Drosten.
Genug zu besprechen gibt es jedenfalls, wie ein Blick in die Schlagzeilen zeigt:
Glücklicherweise schließt es sich nicht aus, NDR zu hören und den SPIEGEL zu lesen.
3. Parkett-Reiniger
Die Deutschen gelten nicht gerade als Börsen-Enthusiasten, daran änderte auch Manfred Krug mit seiner Werbung für die Telekom-Aktie wenig. Dabei sollte man gerade für langfristige Anlagen über sogenannte ETFs nachdenken, wie mir Kollegen aus dem Wirtschaftsressort immer wieder versichern. (Wie das geht, lesen Sie hier.)
Nun war der Wirecard-Skandal nicht unbedingt Werbung für die Börse. Der Zahlungsdienstleister hat offenbar betrogen und fällt aus dem Deutschen Aktienindex Dax, dafür rückt Delivery Hero nach, ein Unternehmen, das noch nie Geld verdient hat. Das wirft die Frage auf, wie seriös die Zusammensetzung des wichtigsten deutschen Aktienindex ist und ob es strengere Regeln braucht.
Meine Kollegen David Böcking und Tim Bartz diskutieren das kontrovers. David findet, es braucht dringend strengere Regeln: «Das Label ‘Made in Germany’ gilt weltweit noch immer als Qualitätsmerkmal. Das sollte auch beim wichtigsten Aktienindex des Landes so bleiben.» Tim hingegen argumentiert: «Der Ruf nach neuen Regeln ist verständlich, der Adressat aber der falsche. Die Deutsche Börse kann nicht ausbügeln, was Aufsicht, Wirtschaftsprüfer und Investoren zuvor falsch gemacht haben.»
SPIEGEL Update – Die Nachrichten
Was heute sonst noch wichtig ist
Meine Lieblingsgeschichte heute: Trumps falscher Prophet
Zu den treuesten Unterstützern Donald Trumps gehören ausgerechnet viele strenggläubige Evangelikale. Daran haben weder Trumps eher unchristlicher Lebenswandel noch seine Skandale etwas geändert. Auch weil der Präsident verlässlich konservative Richter nominiert und so die Rechtsprechung langfristig im Sinne der Evangelikalen verändert.
Als Verbindungsmann zum christlichen Wählerblock diente Trump ein Mann namens Jerry Falwell Jr. Der musste nun von seinem Amt als Präsident der Liberty University zurücktreten, der größten evangelikalen Hochschule der Vereinigten Staaten, wie mein Kollege Marc Pitzke berichtet. Der Lebenswandel Falwells stellte sich nämlich als offenbar noch weniger fromm heraus als der des Präsidenten: Falwell und seine Gattin Becki gaben zu, eine langjährige Dreierbeziehung mit einem ehemaligen Poolboy aus Florida unterhalten zu haben, dem sie auch viel Geld zukommen ließen.
«Eine solche Beziehung unter Erwachsenen sollte normalerweise niemanden stören», schreibt Marc. «Es sei denn, man hat wie Falwell außereheliche Affären sowie Bi- und Homosexualität zeitlebens verteufelt.»
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Wie Dieselbusse auf Elektro umgerüstet werden könnten — und wer das verhindert: Auch im ÖPNV soll sich der Batterieantrieb durchsetzen. Sinnvoll wäre der Umbau alter Fahrzeuge. Gefördert werden aber schlechtere Lösungen.
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So verhindern Eltern, dass ihre Kinder zu Rivalen werden: Viele Kinder kämpfen um Aufmerksamkeit und Liebe. Das liegt vor allem am Verhalten der Eltern, sagt der Schweizer Entwicklungspsychologe Jürg Frick — und erklärt, wie aus Konkurrenten Verbündete werden.
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Jetzt wohnen wir umsonst — und bekommen noch Geld dazu: Der Kauf einer Immobilie kann mit etwas Glück und gutem Timing zur besten Finanzentscheidung des Lebens werden. Ein Erfahrungsbericht.
Was heute nicht so wichtig ist
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: «Auch seien Aufnahmen von Überwachsungskameras in der Stadt analysiert worden.»
Cartoon des Tages: Reinfektionshumor
Und heute Abend?
Vielleicht mal wieder einer Empfehlung meines Kollegen Wolfgang Höbel folgen und ins Kino gehen, natürlich unter Einhaltung aller Corona-Vorsichtsmaßnahmen. Heute läuft nämlich die Dokumentation «Fragen Sie Dr. Ruth» an: Der Film porträtiert Ruth Westheimer, die als Kind einer jüdischen Familie in Frankfurt aufwuchs, den Nazis entkam und als Erwachsene die lustigste Sex-Ratgeberin der USA wurde. Wolfgang findet die Doku «wirklich lebendig, komisch und oft berührend, weil die mittlerweile 92-jährige Westheimer fast ununterbrochen selbst zu Wort kommt».
Sie erzählt mit «wunderbar aufgekratzter Stimme von sehr finsteren Zeiten», etwa von der Deportation ihres Vaters ins KZ 1938 und von ihrer Verschickung mit einem sogenannten Kindertransport in die Schweiz.
Nach einem Studium in Paris und der Übersiedlung in die USA in den Fünfzigerjahren begann ihre TV-Karriere allerdings erst in den Achtzigerjahren. «In einer notorisch verklemmten und zugleich sexverrückten Gesellschaft leistete Westheimer grandiose, heitere Aufklärungsarbeit nicht bloß dadurch, dass sie die menschlichen Geschlechtsteile und ihren Gebrauch höchst anschaulich erklärte», schreibt Wolfgang. Sie riet auch manchen Klientinnen: Trennen Sie sich, suchen Sie sich einen neuen Kerl. (Die ganze Filmbesprechung finden Sie hier.)
In diesem Sinne: Reden Sie über Sex, ohne Ruth zu werden.
Herzlich,
Ihr Oliver Trenkamp
Hier können Sie die «Lage am Abend» per Mail bestellen.
Source: spiegel.de
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