Als die vier Klimaschützerinnen nebeneinander auf der Dachterrasse des Berliner Hauses der Kulturen der Welt Platz nahmen, vermittelte die sengende Sonne schon mal eine Ahnung davon, was eine erhitzte Welt bedeuten könnte. Nebenan, im Kanzleramt, hatten die Aktivistinnen Luisa Neubauer aus Deutschland, Greta Thunberg aus Schweden, Anuna de Wever und Adélaïde Charliér aus Belgien, gerade mit Angela Merkel gesprochen, nun wollten sie erzählen, wie es war mit der Bundeskanzlerin.
Doch der Bericht über das 90-minütige Gespräch fiel bemerkenswert kurz aus. Man habe, sagte Luisa Neubauer auf Englisch, über deutsche, europäische und internationale Politik gesprochen, über Handelsverträge und CO2-Bepreisung. Und jetzt nehme man Fragen entgegen.
Die erste, die sich aufdrängte, lautete: Was? Das soll es gewesen sein? Das war die Essenz des Gesprächs zwischen der derzeit wohl berühmtesten Aktivistin der Welt, Vertreterinnen der sichtbarsten Protestbewegung dieser Zeit und der mächtigsten Frau Europas? Man habe über Politik gesprochen?
Offenbar: ja.
Auch im weiteren Verlauf war nicht sehr viel über das zu erfahren, was Merkel gesagt habe. Nur, dass sie das Mercosur-Abkommen, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und lateinamerikanischen Staaten, in der aktuellen Form nicht akzeptieren werde, so sagte es Charlier, und das wäre dann doch eine Nachricht. Aber auch auf mehrfache Nachfragen wurde es kaum konkreter. «Wir haben einige Forderungen diskutiert, aber es ist kompliziert», sagte Thunberg.
Dabei waren die vier Aktivistinnen in ihrem offenen Brief, den sie vor einigen Wochen an die Mächtigen der Welt adressiert hatten und der der Anlass für den Termin mit der Kanzlerin war, sehr präzise. Darin fordern sie etwa ein sofortiges Ende aller Subventionen für fossile Energieträger, einen sofortigen Stopp von Investitionen in fossile Energien, «Ökozid», also den Mord an der Natur, als Straftatbestand vor dem Internationalen Strafgerichtshof und jährliche, eindeutige, bindende CO2-Budgets für Staaten.
Nichts davon ist in Deutschland umgesetzt. Der Staat gibt jährlich Milliarden an klimaschädlichen Subventionen aus, etwa für Diesel oder Kerosin. Und von einem CO2-Budget, also einer eindeutigen Festlegung, wie viel Treibhausgase Deutschland noch ausstoßen darf, will die Regierung sowieso nichts wissen. Egal, wie man es berechnet, es würde mit Sicherheit höhere Einsparungen bedeuten, als sie die Regierung bisher anpeilt.
Es hätte also Themen genug gegeben, um konkret zu werden — und scharf in der Kritik. Doch der vielleicht härteste Satz, gesagt von Luisa Neubauer, klang so: «Es wurde sehr deutlich, dass wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema schauen.»
Große Namen, radikale Forderungen
Das ist umso auffälliger, wenn man sich den ganzen Brief anschaut, den Nobelpreisträgerinnen wie Malala Yousafzai und Nadia Murad sowie Stars wie Leonardo DiCaprio, Coldplay, Juliette Binoche oder Joaquin Phoenix unterzeichnet haben, obwohl oder weil er ungewohnt radikal ist: Er fordert nicht nur, die Klimakrise als Krise anzuerkennen, sondern auch offen ein anderes System.
«Wenn wir die Klimakatastrophe vermeiden wollen», heißt es da, «müssen wir es ermöglichen, Verträge und existierende Deals und Abkommen aufzulösen, in einem Umfang, den wir uns heute noch kaum vorstellen können. Und solche Handlungen sind im heutigen System weder politisch noch wirtschaftlich noch juristisch möglich.» Thunberg lieferte noch einmal die Begründung: Wenn man alle bestehenden Verträge abarbeite, werde man die Treibhausgasemissionen nicht hinreichend beschränken können, das gehe nicht auf.
Nur ist der Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind, fundamental — für das internationale Recht, für alle Rechtssysteme. Wer so etwas fordert, neigt eigentlich nicht zu Zurückhaltung.
Thunbergs bemerkenswerte Milde erschließt sich wahrscheinlich besser, wenn man sie mit der zentralen Botschaft der vier Aktivistinnen kombiniert. De Wever sagte: «Worum wir vor allem gebeten haben, sind Anführer. Wir haben keine Anführer, die diese Krise auch als Krise behandeln.» Charlier sagte: «Wir brauchen Führung.» Thunberg sagte: «Was wir wollen, sind Anführer.»
Man könnte das wahrscheinlich so übersetzen: Lassen Sie uns nicht hängen!
«Irgendjemand muss den Teufelskreis durchbrechen.»
Genau wie den Brief, der die Unterstützung so vieler berühmter Menschen fand, hatten die vier auch diesen Besuch bei der Kanzlerin mit Fridays for Future in ihren Ländern nicht intensiv abgestimmt. Es war eher der Versuch der bekanntesten Vertreterinnen, Aufmerksamkeit zu erzielen, selbst zu führen und die Politik konkret anzusprechen. Denn «der Wandel kommt entweder durch die Politik oder durch die Natur, aber nur einem Fall haben wir Kontrolle», sagte Neubauer.
«Irgendjemand muss den Teufelskreis durchbrechen», sagte Thunberg. Sonst gehe zu wenig voran. Zwei Jahre nach Thunbergs erstem Streik ist zwar politisch viel passiert, aber die Kluft zwischen dem, was getan wird, und dem, was getan werden müsste, wächst eher noch, weil die Zeit gegen Klimaschutzbemühungen arbeitet.
Als Angela Merkel vor bald einem Jahr in New York zum Uno-Klimagipfel flog, wo sie Thunberg auch schon traf, da hatte der Uno-Generalsekretär neue Versprechen gefordert und diese zur Bedingung für Redezeit gemacht. Doch so wenige Staaten hatten Zusagen gemacht, dass Merkel sprechen durfte, obwohl auch sie die Kriterien nicht erfüllte. Aber unter den Unambitionierten war sie noch eine der Ambitionierteren.
Ein wenig wirkte es so, als habe dieses Treffen einen ähnlichen Charakter. Ohne Politik geht es nicht. Also muss man mit denen, die zumindest Bereitschaft signalisieren, etwas tun zu wollen, auch milder umgehen. Auch wenn das dann für die Klimaschutzbewegung ungewohnt verdruckst klingt. Merkel ist womöglich eine der wenigen, von denen sie zumindest hoffen, dass sie das Flehen nach Führung erhören könnte. Sie habe eine Gelegenheit, eine Anführerin zu werden, sagte Thunberg.
Die Antwort allerdings, die Merkel gegeben haben soll, klang sehr nach Merkel und eher ernüchternd. «Sie hat uns zugesichert», sagte Charlier, «dass sie in Erwägung ziehen wird, mutiger zu sein.»
Source: spiegel.de
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