Der eine knabbert wirre Gänge ins Holz. Der andere hinterlässt ein Muster, das an den Umriss eines Laubbaums erinnert. Am Fichtenstamm auf dem Boden kann Andreas Bolte die Spuren der Schädlinge sofort erkennen. «Auch dieser Baum ist Opfer von Borkenkäfern geworden», sagt er. Der Forstfachmann leitet das Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde und erforscht, wie Wälder gleichzeitig naturnah und produktiv sein können.
Boltes Büro liegt auf dem Waldcampus der brandenburgischen Stadt. Er muss nur wenige Schritte machen, um ins Grüne zu kommen. Und etwa 20 Minuten dauert es, bis der Forscher sieht, wo die Borkenkäfer gewütet haben: Ein Sturm hatte 2018 einen Teil der Fichten umgeworfen. Das tote Holz bot ideale Bedingungen für Schädlinge. Zwei, drei Generationen schlüpften in nur einem Sommer. Eine verbliebene Fichte nach der anderen starb und musste abtransportiert werden.
«Ein Boom, wie wir ihn seit Jahrzehnten nicht hatten»
Exemplarisch zeigen die Fichten von Eberswalde, was gerade vielerorts in Deutschland passiert. Aus allen Teilen des Landes gibt es dramatische Meldungen über sterbende oder schon gestorbene Bäume. Fichten leiden ebenso wie Buchen, Eichen und Kiefern.
«Wir haben bei vielen verschiedenen Schädlingen in den Hauptbaumarten einen Boom, wie wir ihn seit Jahrzehnten nicht hatten», sagt Katrin Möller. Die Biologin leitet am Landesbetrieb Forst Brandenburg die Hauptstelle für Waldschutz. Mit den verschiedenen Borkenkäfern kennt sie sich aus, mit Prachtkäfern, Schwamm- und Prozessionsspinnern und all dem anderen Getier, das den Bäumen gerade zusetzt.
Dem Wald geht es gerade schlechter als in den Achtzigern, als das Waldsterben ein Topthema war. Nachlesen kann man das im jährlichen Waldzustandsbericht der Bundesregierung. Der Anteil von Bäumen ohne Schäden in den Kronen – ein wichtiger Indikator für die Gesundheit — war noch nie so gering wie 2019. Die Statistik wird seit 1984 erhoben.
Dabei ist der Wald ein Sehnsuchtsort für die Deutschen. Jeder liebt ihn und fast jeder hat eine Vorstellung, wie er aussehen sollte. Viele Forstexperten witzeln, das Land beherberge gut 80 Millionen Förster. Alle wüssten, was man tun müsse für den Wald. Dabei wissen es die — echten — Fachleute selbst nicht recht.
Jedes Jahr werden, je nach statistischer Rechnung, etwa 70 Millionen Kubikmeter Holz geschlagen — denn der Wald ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Mit 3,9 Milliarden Kubikmetern ist Deutschland das holzreichste Land der Europäischen Union. Auf 11,4 Millionen Hektar, einem Drittel der Staatsfläche, stehen Bäume. Das Geschäft mit dem Holz bringt Milliarden ein.
Doch weil so viel Schadholz auf den Markt kommt, ist der Holzpreis bereits jetzt dramatisch eingebrochen. Seit Sommer 2018 kennt er nur noch eine Richtung: nach unten. Für viele private Waldbesitzer ist das existenzbedrohend.
Dauerstress durch Klimawandel
Schuld an der prekären Lage sind vordergründig die Schädlinge. Aber die konnten ihre Wucht nur entwickeln, weil die Forsten durch den Klimawandel schon im Dauerstress sind. «Wirklich intakte Bestände sehe ich kaum noch. Stattdessen sehe ich Eschen sterben, ich sehe Buchen und Kiefern sterben. Und von der Fichte brauchen wir gar nicht zu reden», sagt Henrik Hartmann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. In Thüringen sind allein im vergangenen halben Jahr sieben Prozent des Waldes abgestorben, schätzt der dortige Landesforstbetrieb. Hartmann dokumentiert die Schäden im Umland von Jena mit einer Drohne. «Für das geübte Auge ist da nicht mehr viel Gesundes zu sehen.»
Der Wald hat mehrere katastrophale Jahre hinter sich. Am dramatischsten war das extrem trockene 2018, auch 2019 lief es kaum besser. Der Frühling in diesem Jahr war laut Deutschem Wetterdienst auch zu regenarm. «Es sind aber nicht nur die Extremsommer», sagt der Jenaer Forscher Hartmann. «Durch den Klimawandel haben sich die Rahmenbedingungen auch im Mittel verschoben. Das ist eine Doppelbelastung.»
Der Dürremonitor des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung in Leipzig zeigt, dass der Boden in 1,8 Metern Tiefe gerade im Osten Deutschlands nach wie vor einen extremen Wassermangel aufweist. «Das ist genau die Tiefe, in der die Bäume ihr Wasser holen», sagt Biologin Möller.
Kommen die Bäume so an ihre Grenzen, versagen ihre Schutzmechanismen und sie können Schädlinge nicht mehr länger abwehren. Als Erstes werden die Baumkronen kahl und sterben ab. Im Forst von Eberswalde haben viele Buchen oben schon keine Blätter mehr, die Äste ragen wie Krallen in den Himmel.
Dann kommen die Schädlinge. Sie breiten sich kaum wahrnehmbar von der Krone nach unten aus. Wenn in der Rinde am Boden die sogenannten Ausbohrlöcher der Käfer zu sehen sind – rund beim Buchenborkenkäfer, halbmondförmig beim Prachtkäfer – ist alles zu spät. Der Baum ist unrettbar verloren.
Was also tun? Den Wald umbauen, mit Arten, die dem Klimawandel trotzen und Schädlingen besser Paroli bieten können. Das ist der erklärte politische Wille. 800 Millionen Euro liegen dafür auf dem Tisch. Im Fußball gibt es freilich den Spruch, dass Geld keine Tore schießt. Und Geld pflanzt auch keine Bäume. Abgesehen von der Frage, ob Waldbesitzer überhaupt genügend Eigenmittel für eine staatliche Förderung haben, ob sie die dicken Anträge verstehen und ob sie Personal für die nötigen Arbeiten haben, abgesehen davon, ob genügend Saatgut da ist, damit Baumschulen über mehrere Jahre Milliarden von Setzlingen ziehen können – ein ziemlich fundamentales Problem bleibt: Niemand weiß so genau, welche Bäume eigentlich gepflanzt werden sollten.
«Wir haben kein Verständnis davon, welche Arten den Klimawandel mitmachen», sagt Max-Planck-Forscher Hartmann. «Es ist völlig unklar, welche Baumart es in 50 Jahren hier noch aushält, wenn es so weitergeht», so der Experte. Einfach nur Bäume aus trockeneren Weltgegenden zu importieren sei jedenfalls «wissenschaftlich nicht fundiert».
Rund 300.000 Hektar zerstörter Wald in Deutschland müssten aktuell aufgeforstet werden. Das sind drei Prozent der gesamten Waldfläche. Lange Zeit galt die Buche als Hoffnungsträger. Doch Hartmann sagt: «Man merkt inzwischen, dass sie für den Klimawandel auch nicht geeignet ist.» Thünen-Forscher Bolte ist etwas weniger skeptisch: «In Höhenlagen von Harz und Bayerischem Wald kann die Buche vielleicht die Fichte ersetzen.»
Doch auch wenn man mit Michael Müller spricht, kann man zumindest Zweifel bekommen, ob das mit den Buchen pauschal so eine gute Idee ist. Der Professor für Waldschutz an der Technischen Universität Dresden beschreibt die Lage in Deutschlands Wäldern mit eindringlichen Worten: «Wir haben eine Situation, wie es sie seit mindestens 200 Jahren nicht gab. Wir stoßen an die Grenzen der Beherrschbarkeit.» Bei der Rotbuche werde «die Lage gerade richtig dramatisch».
Käfer, so beschreibt Müller, haben bei vielen Bäumen die Baumrinde geöffnet. Dadurch konnten Pilze eindringen und das Lignin im Holz verputzen. «Damit geht die Stabilität verloren und selbst alte Bäume können ohne Vorwarnung zusammenbrechen.» Ein Kubikmeter Buchenholz wiegt fast eine Tonne, rechnet Müller vor. Fällt so eine Masse zur Erde, wird es dramatisch. «Ein Spaziergang im Rotbuchenwald kann lebensgefährlich werden», so der Forscher.
Eine Aufgabe für Jahrzehnte
Gänzlich ungeeignet für die Wiederaufforstung seien die Buchen trotz der aktuellen Probleme aber nicht, beteuert Müller. Weil sie frostgefährdet seien, dürfe man sie zwar nicht auf Freiflächen pflanzen. Mische man sie unter höhere Bäume ein, könnten sie durchaus ihren Beitrag zu Waldumbau leisten.
«Es geht nicht darum, das Wild auszurotten, die Bäume müssen aber eine Chance bekommen.»
Und noch ein weiterer Aspekt ist dem Experten und passionierten Jäger wichtig: «Das Wild ist unter den Tieren der größte potenzielle Schadfaktor im Wald, nicht die Borkenkäfer.» Was nütze es, haufenweise neue Bäume zu pflanzen, wenn Rehe diese in kürzester Zeit wieder abäsen? Es müsse deshalb vielerorts anders gejagt werden als bisher, sagt Müller. Kürzer, aber wirkungsvoller. «Es geht nicht darum, das Wild auszurotten, die Bäume müssen aber eine Chance bekommen.» Auch der Bund Deutscher Forstleute fordert, die Wildbestände zu verringern.
Doch die öffentliche Diskussion dreht sich vor allem um die Borkenkäfer. In Sachsen ist zuletzt sogar die Bundeswehr in den Kampf gegen die Schädlinge gezogen. 50 Soldaten halfen, auf 400 Hektar totes Holz aus dem Wald zu holen.
Der Waldökologe Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde sieht das «großflächige Ausräumen des Waldes», wie er es nennt, allerdings sehr kritisch. Geschädigte und tote Bäume sollten so weit wie möglich im Wald verbleiben, sagt er. Sie spendeten Schatten, böten Lebensraum für verschiedene Gegenspieler von Schädlingen und würden dabei helfen, neuen Boden zu bilden und Wasser auf der Fläche zu halten. «Wenn man jetzt alles ausfegt, räumt und putzt, bekommt man nur trockene und sich stark erwärmende Flächen, auf denen am Ende gar nichts mehr wächst.»
Und gegen die Borkenkäfer, so der Forscher, helfe die Strategie des leeren Waldes auch nicht. «Wenn man nicht im richtigen Moment wirklich fast alle betroffenen Bäume wegbringt, hat man keine Chance.» Deswegen habe auch die Borkenkäferbekämpfung der vergangenen Jahre nicht gefruchtet. Die Sorgen der Waldbesitzer könne er durchaus verstehen, sagt Ibisch. Er plädiere dafür, sie im Zweifel auch fürs Nichtstun zu entschädigen. «Vielleicht würde das einige ermutigen, einfach einmal ein bisschen abzuwarten, anstatt mit schwerem Gerät in die Wälder zu fahren. Dort richtet man nur noch weitere Schäden an.»
Source: spiegel.de
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