Ich wäre gern dabei gewesen, als Robbie Williams mit David Beckhams Kindern Jagd auf Außerirdische machte. Vielleicht hätte Victoria Beckham uns ein paar Eierbrote und Limo eingepackt, und David hätte uns am Abend mit dem Auto abgeholt und zugehört, wie wir glühwangig von verdächtigen Fußspuren und unerklärlich plattierten Grasmustern erzählt hätten.
Tatsächlich habe er zwar wirklich schon selbst ein Ufo gesehen, sagt das frühere Mitglied von Take That — doch die Expedition mit dem Beckham-Nachwuchs, von der britische Medien 2008 berichteten, habe es in Wahrheit nie geben, dementiert er.
Ich glaube trotzdem weiter daran, weil es in mein Bild von Robbie Williams passt. Und weil ich auch schon sehr viel Zeit mit dem Versuch verschwendet habe, durch Standbilder und Bildausschnitts-Vergrößerungen zweifelsfrei zu belegen, dass Williams im Musikvideo zu «Shame», der großen Versöhnungshymne, die er 2010 zusammen mit seinem früheren Bandkollegen und stilisiertem Erzfeind Gary Barlow aufnahm, wirklich einen reich verzierten Freimaurer-Siegelring am kleinen Finger trägt.
Und zwar, so stellte ich mir das vor, eben nicht, weil er wahrhaftig Freimauerer sei, sondern mit derselben kindischen Lust an der Provokation, mit der 14-Jährige ungelenke Pentagramme in die Bank der Dorfbushaltestelle ritzen, ohne ganz genau zu wissen, was sie bedeuten.
Als in den vergangenen Tagen dann ein Interviewausschnitt auf Twitter auftauchte, in dem Robbie (ich muss ihn duzen, ich habe ihn schon live vor Begeisterung angekreischt, das erschwert künftiges Siezen) sich über die Pizzagate-Verschwörungstheorie äußerte, die er für keineswegs widerlegt hält, und in dem er auch in seinen weiteren Einlassungen sehr empfänglich für Verschwörungsgeschichten schien, traf mich das schwer. Everything changes – but you?
Die zunehmend drastischen Irrlichtereien von Attila Hildmann und Xavier Naidoo sind mir persönlich herzlich egal, da ich Magen und Ohren vor ihrem Schaffen schon in der Vergangenheit stets sorgfältig verschlossen hatte. Robbie aber gehört mein Herz zumindest stückerlweise, weil Take That meine Lieblingsband ist.
Zwar hatte er sich in den Phasen, in denen die restlichen Mitglieder erst zu viert, dann zu dritt ohne ihn Alben aufgenommen und Konzerte gegeben hatten, für mich als absolut verzichtbar erwiesen, trotzdem liebe ich ihn natürlich immer noch.
Auch wenn Robbies Sätze im Pizzagate-Video recht eindeutig klangen, hoffte ich zuerst auf einen Scherz. Denn Robbie ist ein Trickster, immer schon gewesen: In der klassischen Gewaltenteilung, die im Bauplan einer traditionellen Neunziger-Jahre-Boyband zwingend vorgeschrieben ist, nahm er neben dem Süßen (Mark Owen), dem Sensiblen (Gary Barlow) und den kokett Sexuellen (Howard Donald und Jason Orange) die Rolle des ulkigen Possenreißers ein, der immer wieder mit schimpansigem Grinsen an der Gott-, oder in diesem Fall Gary-gegebenen Bandordnung rüttelte und schließlich kurz vor seinem Abgang 1994 suffselig und komplett außer Kontrolle aus dem engen Regelkorsett für Bubenbands kugelte.
Also behielt ich, als online die Aufregung über das Inverviewvideo köchelte, Robbies Instagram-Account im Auge und erwischte ihn tatsächlich, als er dort live ging. Es war Nacht in Los Angeles, gerade viertel vor drei vorbei, sagte Robbie, gähnend, Kaugummi malmend. Dann drehte er Musik auf, etwas Unveröffentlichtes von ihm selbst, und sang laut mit.
Der Text handelte von «Soul Seekers», von Seelensuchern, die auf der Suche nach dem Licht und der Wahrheit sind, und von einem «Black Knight Satellite». Als ein Follower im Chat nachfragte, welchen schwarzen Ritter er da genau meine, antwortete Robbie: «Google ist dein Freund». Ich schaute nach, während Robbie wieder einmal von seiner Ufo-Sichtung erzählte («War ich nüchtern? Absolut!»): «Black Knight» soll ein von Aliens installierter Satellit in der Umlaufbahn der Erde sein. Oje.
So müssen wir ihn denn verloren geben? Womöglich wirklich. Zur finalen Bestätigung schaute ich mir aber auf YouTube ein zweiteiliges Interview an, das Chris Thrall Anfang Mai mit ihm führte, ein ehemaliger Soldat, der nun Podcasts aufnimmt, in denen er etwa die gängigen Verschwörungsgeschichten um den 11. September als zweifelsfrei bewiesene Fakten verkauft.
Die Videos dauern zusammen drei Stunden. Es schmerzt mich, wenn Robbie gleich zu Beginn erzählt, er habe seit Beginn des Corona-Lockdowns keine Nachrichten mehr gelesen, auch keine News im TV angeschaut, weil die Medien damit seine Panik und Paranoia geschürt hätten. Dafür sei er «ständig» auf YouTube: «Hier bekomme ich meine Nachrichten.»
«Habe ich einfach nur meine eigene Realität erschaffen?»
Schließlich kommt er im Video auch auf Pizzagate zu sprechen, ohne die Verschwörungserzählung beim Namen zu nennen: Er spricht von Menschen, die «ein Teig-basiertes Gericht mit einem Milchprodukt als Topping» lieben – und er räumt ein, das «Red-Pilling» sei bei diesem Thema inzwischen außer Kontrolle geraten. Die Idee der «roten Pille» stammt aus der «Matrix»-Filmtrilogie: Dort kann man zwischen einer blauen und einer roten Pille wählen – die erste schickt einen in wohligen Ignoranzdusel, die zweite zeigt einem schlagartig die ungeschönte Wahrheit.
Er wolle kein «Red-Pillic» werden, jemand, der süchtig sei nach immer neuen, vermeintlichen Aufdeckungen: «Wir haben alle dieselben YouTube-Videos gesehen, aber niemand weiß wirklich, was passiert ist. Auch ich nicht. Darum will ich nicht das Gesicht dieser ganzen Sache werden. Ich bin nur ein interessierter Zuschauer, der einzelne Punkte verbindet.»
Sei es aus tatsächlich relativierender Einsicht, sei es aus diplomatischen Gründen: Immer wieder zieht er sich im Video auf eine sokratische «ich weiß, dass ich nichts weiß»-Position zurück und teilt seine Vorbehalte gehen die Verschwörungsschwurbler-Szene: «Sitzen wir vielleicht nur in einer Blase, in der wir uns unsere eigene Psychose schönreden? Habe ich einfach nur meine eigene Realität erschaffen, in der solche Dinge möglich erscheinen?» Wenn er ein Verschwörungsvideo anschaue, hopse sein Gehirn im Dreisprung: «Dann denke ich: Oh, das ist ja interessant! – Nee, doch nicht. – Naja, vielleicht doch. Aber weiter gehe ich damit nicht.»
Gelegentlich verstecke er in seinen Videos Anspielungen auf klassische Verschwörungsfolklore, er wolle damit Signale in die Welt funken: Habt ihr das auch gehört, was haltet ihr davon? Wahrscheinlich wächst ihm deshalb im Video zu seinem Lied «Radio» ein Reptiloidenschwanz aus dem Hosenboden. Und dann bestätigt er tatsächlich meinen Verdacht: Ja, er trägt einen Freimaurer-Ring im «Shame-Video»: «Damit die Leute sich aufzuregen, um sie zu vergackeiern.» Ein Trickster, dann doch.
Als Thrall versucht, ihn davon zu überzeugen, dass Liam und Noel Gallagher von Oasis gar nicht mal so heimliche Satanisten seien (denn warum sonst seien in einem von Noels Videos Eulen zu sehen, ein unverkennbares Symbol für den Dämon Moloch?) hält Robbie sich dezent zurück, ich bin froh. Und als der Interviewer ihn direkt fragt, ob er nicht auch glaube, dass hochrangige Angehörige der britischen Regierung in Pizzagate verwickelt seien, antwortet Robbie so britisch distanziert wie möglich: «It would appear to be that way.»
Das Video endet mit einem Vernunftsflackern, gerade hell genug, um mich in die Hoffnung retten zu können, dass Robbie Williams noch nicht unrettbar an die Schwurbelwelt verloren ist. Chris Thrall fragt ihn, warum er einmal bei einem Konzert in einem Hemd-Hose-Ensemble auf die Bühne gekommen sei, das über und über mit Schmetterlingen bedruckt gewesen sei, auch zahlreiche Monarchfalter seien dabei gewesen: das Symbol für ein angebliches Folter- und Gedankenkontrolle-Projekt der Illuminaten.
Thrall scheint von Robbie ernsthaft eine Erklärung dafür zu erwarten – und liefert ungewollt ein herrliches Beispiel dafür, wie wenig es braucht, um eine neue Verschwörungstheorie zu basteln. «Ich schwöre auf die Seelen meiner vier Kinder: Mir gefiel einfach das Outfit», sagt Robbie Williams: «Ich habe es nicht durch die Monarch-Mind-Control-Brille gesehen. Sondern durch die Darin-werde-ich-fantastisch-aussehen-Brille.»
Ach, Robbie. I just want you back for good.
Source: spiegel.de
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