Wer sich mit großem Ernst über die beiden Quatschgranaten Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf und ihr aktuelles Fake-Skandälchen beugt und der philosophischen Urfrage nach dem Wesen und der Verformung von Realität in der Welt des Privatfernsehens nachgeht, dem möchte man zunächst fröhlich zurufen: «Entspann dich, Alter! War doch ohnehin alles nur Scherz und Show.» Und wer von ProSieben und Spektakelsendern dieses Typs mehr erwartet als Scripted Reality, Sozialpornografie und die Daueranimation zum Binge-Watching, dem muss man im Grunde genommen intellektuell den Führerschein entziehen.
Ist das also alles wirklich der Rede wert? Hat die so lässig präsentierte Enthüllungsrecherche des NDR-Formates STRG_F das Zeug zum Skandal? Und: Was ist dabei schon herausgekommen? Die Demaskierung von ein paar vermeintlich echten Protagonisten als Laiendarsteller. Ein Fahrraddieb in einem lustigen Late-Night-Berlin-Stunt, der sich als Schauspieler entpuppt hat, mit dem man die entscheidende Szene ein paar Mal abdrehen musste. Dann die Entlarvung des Schauspielers Edin Hasanović, der – scheinbar wirklich – allein in einem Heißluftballon herumfährt und landet, aber doch die angeblichen Beinahe-Katastrophen in Wahrheit mit Hilfe eines Piloten bewältigt. Und schließlich (auch das ein Ergebnis der investigativen Tiefenbohrung) der Nachweis, dass die Boulevard-Prominente Sophia Thomalla nicht wirklich überrascht war, als sie mit verbundenen Augen und nur an einem Seil baumelnd aus einem Hubschrauber gestürzt wurde. Das alles ist nicht wirklich relevant, oder? Und schon der Einsatz minimaler analytischer Energie lässt einen auf seltsame Weise verzwergen. Es wirkt doch einigermaßen bizarr, in Zeiten eines sehr realen Leidens an den Grenzen Europas und im Angesicht einer allmählich entstehenden Coronavirus-Panik mit heiligem Ernst der Frage nachzugehen: Sind die Menschen, die bei ProSieben ihren Dienst tun, mit der Wahrheitsvermittlung beauftragt? Ach Gott, nein, natürlich nicht. Hier geht es am Ende des Tages um die Quote und einen Sack mit Geld.
Schon aufschlussreicher und medienanalytisch ergiebiger ist, warum Joko und Klaas das Scripted-Reality-Getrickse für sich entdeckt haben. Warum tun sie das, wissend, dass sie als Entertainer mit Ehrlichkeitsappeal und mit ihrem gesellschaftspolitischen Aktivismus doch gleichzeitig vom Vertrauen des Publikums leben? Wenn man so fragt, erkennt man die diffuse Macht und die infektiöse Logik eines Überbietungswettbewerbs, der die beiden gleichermaßen als Opfer und Täter erscheinen lässt. Denn man kann ohne Übertreibung sagen: YouTube ist mit seinen Epic-Fail-Videos und seinen Best-of-Irgendwas-Clips 15 Jahre nach seiner Gründung und im Verbund mit dem klassischen Boulevardfernsehen längst ein riesenhaftes Trainingslager für die Gesellschaft des Spektakels. Es geht um die Minute, die scheinbar alles zeigt, orientiert an dem Imperativ inszenierter Authentizität und fingierter Echtheit, der nun auch die Macher gerade noch lustiger Pranks in die Sackgasse des Betrügerischen geführt hat. Hier, in diesem Trainingslager, in dem das sogenannte Reale als maximal effektive Kuriositätenshow aufgefasst wird und sich der Superlativ in die neue Normalität verwandelt, muss man liefern, immer schneller, heftiger, immer wieder neu. Bis die ganze Welt als Summe der Seltsamkeiten und der geschickt orchestrierten Knalleffekte daherkommt.
So betrachtet ist das Fake-Skandälchen um Joko und Klaas alles andere als banal. Es zeigt, wie Medien eine neuartige Umwelt erzeugen, Anreize in Richtung des Hypes und des Spektakels setzen. Und wie diese Umwelt dann auch diejenigen verändert, die gerade noch glaubten, sie wüssten, was sie tun.
Artikel auf Deutsch Lesen. Zeit.de
Комментариев нет:
Отправить комментарий