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Kein spanischer Schriftsteller war zuletzt international so erfolgreich wie Fernando Aramburu mit dem Roman «Patria». Sein Buch darüber, wie der Eta-Terrorismus im Baskenland zwei Familien zerstört, verkaufte sich international mehr als eine Million Mal. Aramburu lebt seit 1985 in Deutschland. Sein großes Thema ist der Nationalismus und der Schaden, den dieser anrichten kann. Wie blickt er heute auf Spanien und Deutschland? Bei dem Treffen in einem Café neben dem Opernhaus von Hannover trägt der Schriftsteller sein Markenzeichen: eine Baskenmütze. Wir führen das Gespräch auf Spanisch.
ZEIT ONLINE: Herr Aramburu, «patria» bedeutet auf Spanisch Vaterland, entspricht aber auch dem deutschen Begriff «Heimat». Wie definieren Sie dieses Wort für sich?
Fernando Aramburu: Für mich ist «Heimat» oder «patria» keinesfalls ein geschlossener Raum, in den nur bestimmte Individuen passen. Ich bin mit einer Deutschen verheiratet, meine beiden Töchter haben die deutsche und die spanische Staatsbürgerschaft. Natürlich fühle ich mich als Spanier und Baske meinen Wurzeln verbunden, ebenso wie bestimmten musikalischen oder gastronomischen Traditionen. Manchmal bin ich etwas melancholisch, weil ich nicht in meinem Herkunftsland lebe. Aber wenn ich «Heimat» definieren müsste, würde ich viele verschiedene Orte hineinnehmen und meine Freunde. Meine «patria» hätte keine Grenzen und die Hauptstadt wäre meine Bibliothek.
ZEIT ONLINE: Sie haben Spanien verlassen, um mit Ihrer Frau in Deutschland zu leben. War das ein schwieriger Schritt?
Aramburu: Als ich sie im Herbst 1982 in Saragossa traf, war klar, dass sie nur ein Semester bleiben würde. Ich stand vor einem Dilemma: entweder diese Frau oder meine berufliche Zukunft, meine Familie, meine Freunde. Ich habe keine Sekunde gezögert und alles zurückgelassen. Ich kam nur mit meinen Büchern nach Deutschland. Die Sprache zu lernen war für mich eine Herausforderung, der ich mich mit Enthusiasmus gestellt habe. Wie begeistert ich war, als ich Thomas Mann und Kafka auf Deutsch lesen konnte! Ich habe hier einen Freundeskreis, ich hatte einen guten Job als Lehrer. Es ist mir gut gegangen hier, nur am Anfang, da wollten sie uns nicht heiraten lassen.
ZEIT ONLINE: Wie bitte?
Aramburu: Der Standesbeamte in Hannover vermutete eine Scheinehe. Gut, ich hatte lange Haare und sprach kein Deutsch. Und 1983 war Spanien noch nicht in der EU. Wir haben dann in Göttingen geheiratet, da gab es kein Problem, ich brauchte nur eine Übersetzerin. Unsere «Scheinehe» dauert jetzt übrigens schon 36 Jahre.
ZEIT ONLINE: Warum, denken Sie, ist für manche Menschen ein engerer Heimatbegriff so wichtig?
Aramburu: Es liegt wohl in unseren Genen, dass wir uns über das, was wir tagtäglich im Spiegel sehen, hinaus definieren wollen. Über eine Gruppe, als Volksstamm, als Städter oder über den Fußballverein. Dieses positive Gefühl der Zugehörigkeit nennt sich Patriotismus und richtet sich gegen niemanden. Das würde ich immer unterscheiden vom Nationalismus: ein geschlossener Raum, in den nur Bürger passen, die einem bestimmten Schema entsprechen. Das Phänomen gab es leider im Baskenland und es wächst in Europa. Vielleicht, weil wir heute in sehr weiten sozialen Räumen leben, in denen man – wie in der Europäischen Union – nicht immer alles überblickt. Und so bilden sich Gegenbewegungen. Diese nationalistischen Strömungen machen mir Sorgen.
Als die Eta noch mächtig war, musste sich jeder politisch für eine Seite entscheiden.
Die baskische Polizei untersucht den Ort eines mutmaßlichen Eta-Attentats in Getxo im Januar 2005. © Rafa Rivas/AFP/Getty Images
ZEIT ONLINE: In Ihren Werken kehren Sie immer wieder zu den Themen Nationalismus und Heimat zurück. Warum?
Aramburu: Weil ich einen inneren Schmerz verspüre. Als ich das Baskenland verließ, war die Situation schlimm. Jede Woche wurden zwei oder drei Personen von der Eta ermordet, einige kannte ich. Ein Leben hatte wenig Wert und einige meiner Freunde waren für den bewaffneten Kampf gegen die – so formulierten sie es – «Unterdrückung» des Baskenlandes durch den spanischen Staat. Ich hatte ein großes Bedürfnis fortzugehen, um zu atmen, offen sprechen zu können und an einem öffentlichen Ort zu sein, ohne Angst zu haben, dass ich beschimpft oder bedroht werde. Bis heute verspüre ich Mitgefühl mit den Opfern und ich schäme mich, dass Menschen morden, um politische Vorteile zu haben. Das zerreißt mich. Daher kehre ich beim Schreiben immer wieder zu diesem Thema zurück.
ZEIT ONLINE: Stehen Sie noch in Kontakt mit Leuten, die damals den bewaffneten Kampf unterstützt haben?
Aramburu: Nicht regelmäßig. Aber letztes Jahr traf ich einen alten Freund, einen Unabhängigkeitsbefürworter, der den bewaffneten Kampf immer unterstützt hat. Wir haben nicht über Politik geredet, das war tabu. Es ging um die alten Zeiten, Sport, um unsere Kinder. Dennoch zeigt die Tatsache, dass er wieder mit mir redet, dass er mich inzwischen akzeptiert. Wissen Sie, vorher war die soziale Spaltung sehr groß. Die meisten Bürger sind ja politisch nicht sonderlich aktiv, sondern leben einfach ihr normales Leben. Aber früher, als die Eta noch mächtig war, musste sich jeder politisch für eine Seite entscheiden, mit allen Konsequenzen, auch für Freundschaften und familiäre Beziehungen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie selbst mal mit der Eta sympathisiert?
Aramburu: Heute schäme ich mich dafür, aber ich habe als Zwölfjähriger die Ermordung von Luis Carrero Blanco gefeiert. Kurz vor dem Tod Francos genoss die Eta Sympathie in der Bevölkerung, denn wir dachten: Endlich macht jemand etwas, um die Diktatur zu stürzen! Es war mir damals aber irgendwie schon bewusst, dass man den Tod von jemandem nicht feiern sollte. Vielleicht lag das an meiner christlichen Erziehung, damals war ich noch gläubig.
ZEIT ONLINE: Wann endete Ihre Sympathie für die Eta?
Aramburu: Es gab einen Moment des intellektuellen Erwachens, und zwar, als ich Der Mensch in der Revolte von Albert Camus las. Ich lernte dabei, dass der Mensch nicht auf nur eine Facette reduziert werden darf: Man kann zum Beispiel als Polizist links oder rechts, ein guter oder ein schlechter Mensch sein, Hobbys oder Kinder haben, naturverbunden sein. Seit Camus’ Buch sehe ich die Menschen in ihrer Komplexität. Es hat mich gegen Totalitarismus und Diskriminierung immun gemacht.
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