воскресенье, 1 марта 2020 г.

Berlinale: Keine Grenzen der Vorstellungskraft

Ein Abtreibungsdrama und ein kinematografischer Appell gegen die Todesstrafe haben die wichtigsten Preise der 70. Berlinale gewonnen. Sie kann also weiterhin mit einigem Recht als politischstes Filmfestival der Welt gelten. Die große Frage in diesem Jahrgang lautete allerdings, ob sie auch wieder ein Festspiel der großen Filmkunst ist.

18 Filme waren im Internationalen Wettbewerb um sieben Silberne und einen Goldenen Bären. Am Ende ging der Hauptpreis an das Episodendrama There Is No Evil des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof. Es zeigt «sanft und verheerend», so nannte es die Jury bei der Preisverleihung, wie totalitäre Regime Netze zwischen den Menschen knüpfen, um sie zur Unmenschlichkeit zu zwingen. Ein Mann in Teheran kommt von der Nachtschicht im Gefängnis heim, holt seine Frau von der Arbeit ab, danach die kleine Tochter. Sie gehen zur Bank, in den Supermarkt und helfen der kranken Oma mit dem Haushalt. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Mann schlechter als andere Menschen wäre. Dennoch wird er in der kommenden Nacht wieder ins Gefängnis aufbrechen, wo er die Exekutionen mehrerer Männer durchführt.

In der zweiten Episode weigert sich ein junger Wehrdienstleistender, bei einer Hinrichtung im Gefängnis zu assistieren. Die Diskussion zwischen ihm und seinen Kameraden auf der engen Stube entwickelt sich zu einem wortgewaltigen Panorama großer moralischer Fragen: Darf man sich von der Aufgabe freikaufen, wie es der junge Rekrut erwägt? Wie unschuldig kann ihn das machen? Wie schuldig den anderen? Welchen Sinn hätte es obendrein, da die Hinrichtungen ja dennoch vollstreckt würden? Wie groß ist andererseits der Schaden an der eigenen Menschlichkeit, wenn man sich selbst zum Henker macht? Wie hoch ist der Preis für die Familie, wenn man wegen einer Verweigerung noch viel länger Militärdienst leisten muss? Oder nie eine Arbeitsgenehmigung erhalten wird? Oder einen Pass?

Sind drei Tage Sonderurlaub, über den sich die Liebste freuen wird, genug, um zu töten? Die Frage stellt sich in der dritten Episode. In der vierten und letzten schließlich geht es um eine junge Iranerin, die ohne ihre leiblichen Eltern in Hamburg aufwachsen musste, weil jene sich einst für die Menschlichkeit entschieden hatten. Auch auf sie hat die Entscheidung also weitreichende Folgen.

Der Stuhl bleibt leer

Die Geschichten hat Rasoulof lose und dennoch zwingend erzählerisch verknüpft. Allein das Drehbuch wäre einen Bären wert gewesen. So aber ehrt die Jury alle Menschen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um diesen Film überhaupt zu ermöglichen. Allen voran den Regisseur und Autor selbst. Rasoulof konnte nicht zur Preisverleihung kommen, weil ihm das iranische Regime das Reisen verbietet. Rasoulofs Stuhl in Berlin bleibt also leer. Im Jahr 2017 hat es dem Filmemacher, der bis dahin zwischen Hamburg und Teheran pendelte, den Pass abgenommen. Das erinnert natürlich an 2011, als schon der Regisseur Jafar Panahi gezwungen war, dem Filmfest fernzubleiben.

Rasoulofs Tochter Baran nimmt für ihren Vater den Preis entgegen. Sie lebt in Hamburg, ohne ihn, und spielt im Film die junge Frau in der letzten Episode. Diese Geschichte ist also auch ihre eigene: Auch sie muss mit der Entscheidung ihres Vaters leben, das moralisch Richtige über das persönliche Wohl zu stellen und über das Wohl der Familie.

So vielschichtig und komplex There Is No Evil ist, so klar sind seine vier Erzählungen. Und obwohl das Sujet brutal ist, um das es hier geht – die Todesstrafe –, findet die Kamera aus den Kellern und Gängen des Gefängnisses nach und nach hinaus ins Freie und Helle der iranischen Berge. So endet der Film bei aller Düsternis mit einem hoffnungsvollen Leuchten. Am Ende der Preisverleihung, als die Menschen im Berlinale Palast sich für den Applaus erhoben haben, findet der Co-Produzent des Films, Kaveh Farnam, ergreifende Worte dafür, warum sich all diese Menschen, die Darsteller, die Kameraleute, die Techniker, selbst gefährden, indem sie in diesem Film mitgewirkt haben: «Danke für ihr Nein zur Zensur», sagt Farnam. Und: «Es gibt keine Mauern auf dieser Welt, die die Vorstellungskraft aufhalten könnten.» Berlin könnte kein besserer Ort für diese Worte sein. 

Auch Never Rarely Sometimes Always, der Film für den die amerikanische Regisseurin Eliza Hittman mit dem Silbernen Bären für den Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, behandelt ein hochpolitisches Thema. Zwei 17-Jährige fahren aus dem ländlichen Pennsylvania nach New York, weil eine von ihnen ungewollt schwanger ist und nur dort abtreiben kann. Noch immer haben viele Bundesstaaten der USA restriktive Abtreibungsgesetze, und just in diesem Jahr steht eine Entscheidung am Supreme Court aus, mit der das Land hinter dessen Entscheidung von 1973 zurückfallen könnte. Damals wurde erstmals geurteilt, dass ein Gesetz nicht das Selbstbestimmungsrecht einer Frau über den eigenen Körper beschneiden dürfe.

Hittmans Film ist ein unaufgeregtes Drama. Es passiert in den wenigen Tagen, die der Film die Mädchen begleitet, nichts weiter Außergewöhnliches. Dennoch entwirft Hittman mit ihrem Film wie nebenbei auch ein Bild von der Befindlichkeit junger Teenagerinnen in den USA. Sie werden alleingelassen von Eltern, die überfordert und unreif sind, und immer wieder sind sie dem Zugriff anderer Menschen, vor allem Männern, ausgeliefert: dem Filialleiter des Supermarkts, in dem die beiden jobben; den Kunden dort, die Small Talk als Flirt auffassen; einem schmierigen Geschäftsmann, der sich in der New Yorker U-Bahn vor ihnen entblößt; einem jungen Mann, der weiß, dass er für das Geld, das er den beiden Mädchen für die Rückfahrt nach Pennsylvania zusteckt, eine Gegenleistung erwarten kann. Indem die Kamera eng an den beiden Hauptdarstellerinnen bleibt, an ihren Körpern und Gesichtern, sie häufig als Nahaufnahmen zeigt, vermittelt sie, dass das Wertvollste, was diese beiden Teenager haben, ihre Freundschaft ist. Einen großen Film zu machen, kann so einfach aussehen. Hittman hat den Preis verdient, auch wenn ihr Film auf der Berlinale nicht seine Weltpremiere feierte.

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