пятница, 28 февраля 2020 г.

Siegfried Brockmann: «Ein Viertel der im Auto tödlich Verunglückten war nicht angeschnallt»

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 3.056 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Das ist der niedrigste Stand seit Beginn der Zählung durch das Statistische Bundesamt. Bis vor zehn Jahren ging die Anzahl der tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer rapide zurück, seit einem Jahrzehnt stagniert sie – und ihr Ziel Null Verkehrstote wird die Bundesregierung nie erreichen, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

ZEIT ONLINE: Herr Brockmann, die Zahl der Verkehrstoten ist auf dem niedrigsten Stand seit 60 Jahren. Wem haben wir das zu verdanken: dem technischen Fortschritt oder politischen Vorgaben?

Siegfried Brockmann: Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft © UDV

Siegfried Brockmann: Die Frage suggeriert, dass im letzten Jahr eine oder mehrere zielgerichtete Maßnahmen zu weniger Verkehrstoten geführt haben. Das sehe ich aber nicht. Es könnte sich durchaus um eine zufällige Schwankung nach Jahren der weitgehenden Stagnation handeln.

ZEIT ONLINE: Das statistische Bundesamt bringt die rückläufige Entwicklung der Verkehrstoten mit konkreten Maßnahmen wie Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen, Gurtpflicht oder Promillegrenzen in Verbindung.

Brockmann: Für die Jahre bis 2010 kann man tatsächlich solche Wendemarken erkennen. Aber in den letzten Jahren gab es keine einschneidende Neuerung mehr. Deshalb lässt sich auch nicht sagen, ob es 2020 weniger oder mehr Verkehrstote geben wird.

 ZEIT ONLINE: Was ist Ihre Erklärung dafür, dass die Zahl der Verkehrstoten im Laufe der Jahrzehnte sehr stark zurückging trotz steigendem Verkehrsaufkommen?

Brockmann: Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Der wichtigste liegt in der Fahrzeugsicherheit. Die drei Stichworte dafür sind Gurt, Airbag und sichere Fahrgastzellen. Systeme wie Notbrems- oder Abbiegeassistenten leisten dagegen in den letzten Jahren einen deutlich geringeren Beitrag zur Sicherheit. Außerdem sind erst wenige Fahrzeuge damit ausgestattet. Der Notbremsassistent, der, wenn der Fahrer nicht reagiert, automatisch eine Bremsung einleitet, ist das System, das noch am meisten zu mehr Sicherheit beitragen kann. Es sei denn, die Fahrzeuge fahren irgendwann autonom, was aber kein Experte in den nächsten 30 Jahren ernsthaft erwartet.

 ZEIT ONLINE: Und der zweite Punkt, der zu mehr Sicherheit geführt hat?

Brockmann: Das sind Verbesserungen der Infrastruktur. Was Straßengestaltung betrifft, haben wir im Laufe der Jahrzehnte sehr viel gelernt: Wie werden Straßen und Kreuzungen übersichtlich gebaut, wie Ampeln am sichersten geschaltet? Aber auch diese Entwicklung ist wie die technische Fahrzeugsicherheit fürs Erste abgeschlossen. Und auf uns kommt ein großes Problem zu: Für die zunehmende Zahl an Radfahrern ist die bestehende Infrastruktur nicht gedacht. Unsere Straßen sind für das Auto optimiert. Die Konsequenz sehen wir ganz deutlich daran, dass die Zahl der getöteten Radfahrer stagniert und die Zahl der getöteten Pedelec-Fahrer stark steigt. Die logische Folge muss nun sein, die wachsende Gruppe der Radler besser zu schützen.

 ZEIT ONLINE: Müssen wir uns also zunächst mit jährlich 3.000 bis 4.000 Verkehrstoten abfinden, nur dass es weniger Autofahrer und mehr Pedelec-Fahrer treffen wird?

Brockmann: Nein, aber wir müssen uns auf die Hauptproblemfelder konzentrieren. Bei Pedelecs gibt es zwar die größten Steigerungsraten, doch die elektrischen Fahrräder sind zahlenmäßig unser kleinstes Problem. Die meisten Verkehrstoten sind mit rund 1.800 immer noch die Autofahrer, dann folgen 600 Motorradfahrer, 450 Fußgänger und 400 Radfahrer, davon sind etwa 40 mit einem Pedelec tödlich verunglückt. Im Auto schaffen wir nur dann noch weniger Verkehrstote, wenn die Anschnallquote auf 100 Prozent steigt. Ein Viertel der im Auto tödlich Verunglückten war nicht angeschnallt. Für den Motorradfahrer gibt es kaum technische Unterstützung und damit ganz wenig Potenzial für mehr Sicherheit. Dem Fahrradfahrer hilft am meisten, wenn Radwege so angelegt sind, dass man für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar ist und Autos und Radfahrer sich so wenig wie möglich in die Quere kommen können. Und Radwege müssen auch breiter werden, weil immer mehr Menschen sie nutzen, einschließlich E-Scooter-Fahrer, und man Platz braucht fürs Überholen.

ZEIT ONLINE: Was sollte die Politik tun, um für insgesamt mehr Verkehrssicherheit zu sorgen?

Brockmann: Die Schwierigkeit ist, dass es nicht einen Ansprechpartner gibt, bei dem das gesamte Problem abgeladen werden kann, sondern mindestens drei. Der Bundesverkehrsminister sorgt für die Regeln im Straßenverkehr, zuletzt mit einer Änderung der Straßenverkehrsordnung und des Bußgeldkatalogs. Da war es aus meiner Sicht wenig sinnvoll, sich nur auf Radfahrer zu konzentrieren, weil andere Verkehrsteilnehmer auf der Strecke geblieben sind. Die Innenministerien der Bundesländer haben die Polizeihoheit. Seit Jahren stellen wir fest, dass die Polizei immer seltener kontrolliert, weil die Kräfte für andere Zwecke eingesetzt werden. Gesetze sind aber nur wirksam, wenn sie durchgesetzt werden. Der dritte Verantwortliche sind die Kommunen, weil etwa Radwege in kommunaler Hand liegen. Platz für sichere Radwege kann nur den Autos abgezwackt werden und das führt zu Konflikten in Kommunen, die Bürgermeister lieber vermeiden. So kocht jede Instanz ihr eigenes Süppchen, ohne das große Ganze im Blick zu haben.

 ZEIT ONLINE: Die Bundesregierung hat sich mit der Vision Zero im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die Zahl der Verkehrstoten mittelfristig auf Null zu senken.

Brockmann: Ja, und für diese Dekade, also von 2011 bis 2020, hat sie das Ziel ausgegeben, die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken. Davon sind wir Lichtjahre entfernt. Die Vision Zero ist als Weg zu mehr Sicherheit zwar prima, als absolutes Ziel jedoch Unsinn: Selbst, wenn kein Auto mehr fährt, kollidieren Radfahrer gegenseitig oder mit Fußgängern und das kann auch mal tödlich enden. Um Null Verkehrstote zu erreichen, müsste die Mobilität komplett eingestellt werden, was nicht geht. Die Regierung sollte im neuen Verkehrssicherheitsprogramm für die Jahre ab 2021 den Weg zu mehr Sicherheit konkret beschreiben.

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