вторник, 25 февраля 2020 г.

Österreich-Studie: Dem Volk auf’s Maul geschaut

Neulich bei einer Versammlung in einem Wirtshaus-Hinterzimmer in der oberösterreichischen Provinz. Zwei, drei Dutzend Menschen sind gekommen. Wie immer gibt es die Leute, die gelernt haben, viel und pointiert zu reden. Nach fast zwei Stunden meldet sich ein kleiner, runder Mann zu Wort, der bisher geschwiegen hat: «Es geht schon nicht gerecht zu bei uns, muss ich sagen.» Er ist nicht gerade der große Redner, aber auf Nachfrage erklärt er, was ihn stört: Er arbeitet seit Jahrzehnten bei der Müllabfuhr, geht selbst mit kaum mehr als 1600 Euro brutto heim und findet es nicht in Ordnung, wenn Sozialhilfebeziehern fast so viel zur Verfügung steht wie ihm selbst. Schließlich stehe er morgens früh auf und verrichte einen Job, der in die Knochen geht.

Andere Episode, ein paar Wochen später. Ein Freund erzählt, wie seine Oma, eine Mindestpensionistin, auf Flüchtlingsmädchen reagierte: «Das ist schon hart, die sind seit drei Wochen da und kriegen genauso viel wie ich.» Die Oma sei ein guter Mensch, aber das fordere ihre instinktive Gerechtigkeitsvorstellung heraus. Schließlich habe sie ein Leben lang gearbeitet und bezieht jetzt eine Rente, die etwa genauso hoch ist wie das, was man an Mindestsicherung erhält, wenn man in Österreich einen stabilen Aufenthaltstitel besitzt.

Zwei Episoden, zwei Beispiele für Gerechtigkeitsnormen. Die eine behauptet, es stehe einem durch Leistung, harte Arbeit und Mühe etwas zu – im Notfall auch die Hilfe durch die Solidargemeinschaft. Aber niemand solle ein Freispiel haben. Die zweite vertritt den Standpunkt, wer neu in eine Solidargemeinschaft kommt, solle sich erst einmal hinten in der Schlange anstellen. Wer lange dazu gehört, sollte höhere Ansprüche stellen dürfen.

Alles gut begründbare Gerechtigkeitsnormen.

Carina Altreiter sitzt im Café Westend beim Wiener Westbahnhof und erzählt von ihren Forschungsgesprächen mit jenem Teil der Bevölkerung, den man salopp gern die «einfachen Leute» nennt – und die sich selbst als solche verstehen. «Uns war wichtig, wertschätzend mit dem umzugehen, was die Leute unter Gerechtigkeit und Solidarität verstehen. Die Menschen machen sich ja ein Bild von der Welt.» Gemeinsam mit einem Forscherteam um den Soziologen Jörg Flecker hat Altreiter an der Studie Umkämpfte SolidaritätenSpaltungslinien in der Gegenwartsgesellschaft gearbeitet, die gerade als Buch erschienen ist. Dafür wurde eine groß angelegte Umfrage durchgeführt, und anschließend wurden 48 Österreicherinnen und Österreicher in langen Interviews intensiv befragt. Arbeiterinnen, Angestellte, Ärzte in Großstädten, Handwerker auf dem Land, Bankangestellte in der Bezirkshauptstadt – die gesamte bunte Vielgesichtigkeit der Gesellschaft. «Ich komm ja selbst aus dem Mühlviertel», lacht Altreiter.

Wer das reale Meinungsklima im Land verstehen will, sollte dieses Buch lesen. Denn das Bemerkenswerte an dieser Feldstudie ist, dass die Befragten selbst lange und ausführlich zu Wort kommen – dass nicht nur ihre Meinungen dokumentiert werden, sondern ihre Identität, ihre Werte und ihr Charakter deutlich werden. Ganz im Stil der großen Untersuchungen, wie sie einst der legendäre französische Soziologe Pierre Bourdieu erstellte.

«Es kann ned sein, dass zum Beispiel eine Friseurin, die, weiß ich nicht, 1100 Euro kriegt für 40 Stunden, die arbeitet 40 Stunden und kann sich in Wahrheit keine 50-Quadratmeter-Wohnung leisten, den ganzen normalen Standard, eine Wohnung, ein Auto, ein Handy, und ein bissl ein Leben. Das geht nicht», sagt etwa eine Frau. Ein 23-jähriger Fabrikarbeiter erklärt: «Ja, ich denke mir einfach, für was ich eigentlich arbeite. Eigentlich eh für nix, für irgendeinen, der viel Geld kriegt, und ich kriege das bissel.»

Die Frau fügt noch hinzu: «Ich kann nicht fürs Nixtun mehr kriegen als fürs Arbeitengehen. Und es kann auch nicht sein, dass eben so gewisse Branchen so schlecht bezahlt sind, dass du in Wahrheit deinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kannst.»

Wieder eine andere: «Wie gesagt, für mich sind das die Schlimmen, die einfach herkommen, nix arbeiten wollen, sich nicht integrieren, gar nix.» Ein anderer behauptet, man könne sich auf den Staat nicht verlassen, sollte man etwas benötigen.

Unzählige Stimmen, oft widersprüchlich, manchmal wirr durcheinander – und doch liegen die vielen verschiedenen Gruppen gar nicht so weit auseinander. Aber, so die Forscherin Altreiter: Es gebe zwar sicher Extreme, aber dazwischen auch viel Konsens.

Sieben Solidaritätstypen haben die Forscher ihren Gesprächen folgend systematisiert.

Gruppe eins sind diejenigen, die sich selbst als Unterprivilegierte betrachten und für alle eintreten, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind – gleich welchen Pass sie besitzen oder wo sie leben. Das wäre, plakativ gesagt, der linke, politisch bewusste Gewerkschafter.

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