Mehr als eine Million Menschen nahmen vor rund zehn Jahren am SPIEGEL-Wissenstest teil. Nun erscheint wieder ein großer Test, ein Taschenbuch mit 150 neuen Fragen. Wie wichtig aber ist Allgemeinwissen überhaupt noch? Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga berichtet im Interview, wie sie sich darauf vorbereitet, am Abend zu erklären – und warum sie bei Fußball-Themen immer besonders aufpasst.
SPIEGEL: Frau Miosga, bei Ihrer Arbeit haben Sie, wie die meisten Journalistinnen und Journalisten, ständig mit neuen Themen zu tun. Wie oft kommt es vor, dass Sie sich eingestehen müssen: Puh, davon hab ich so gar keine Ahnung?
Caren Miosga: Oft genug.
SPIEGEL: Können Sie sich erinnern, wann das zuletzt der Fall war?
Miosga: Zuletzt stand ich so richtig auf dem Schlauch beim Nobelpreis für Chemie – die Erkenntnis, wie Lithium-Ionen besser Strom speichern.
SPIEGEL: Wie gehen Sie mit solchen Fällen um?
Miosga: Wie mit allen Wissenslücken und Verständnisproblemen: Ich lese darüber, und wenn ich es immer noch nicht verstehe, frage ich Menschen, die mehr davon verstehen.
SPIEGEL: Wenn Sie es selbst einschätzen müssen: Wie gut ist Ihr Allgemeinwissen?
Miosga: Abgesehen davon, dass ich Kenia an den Atlantik verlegt habe und ich mir die ionische und dorische und korinthische Säulenordnung nie werde merken können, habe ich den letzten SPIEGEL-Wissenstest ganz passabel gemeistert.
SPIEGEL: Auf der Günther-Jauch-Skala: Wie viel Geld würden Sie bei »Wer wird Millionär?« gewinnen?
Miosga: Auch hier gilt: Niemand weiß alles. Es käme also vermutlich nicht nur auf mein eigenes Wissen an, sondern auch auf das der Joker. Und wenn man dann vor einem Millionenpublikum Aussetzer hat, ist man schnell verraten und verkauft. Meine Lieblingsgeschichte zum Thema missglückter Wissenstest: Bei der Berliner Polizei wurden Bewerber für den Polizeidienst bei einer Prüfung gefragt: Woran ging Pompeji zugrunde? Eine der Antworten lautete: Er aß zu viel Spinat.
SPIEGEL: Warum machen Sie nicht mal bei einer solchen Quizshow mit?
Miosga: Ich bin lieber selbst die, die Fragen stellt.
SPIEGEL: Auf welchen Gebieten sind Sie Expertin?
Miosga: Bolognese kochen. Und von russischer Literatur verstehe ich auch was.
SPIEGEL: Wie haben Sie dieses Wissen erworben?
Miosga: Gute Lehrer gehabt, in der Küche und in der Uni.
SPIEGEL: Es bleiben viele Felder, auf denen Sie wenig wissen, dort könnte Ihnen jederzeit ein peinlicher Fehler unterlaufen. Haben Sie davor Angst?
Miosga: Nein, auf das, was ich jeden Tag schreibe und dann im Fernsehen sage, gucken ja auch noch mindestens vier weitere Augen.
SPIEGEL: Hatten Sie selbst schon einen solchen Moment wie Carmen Thomas mit ihrem legendären Versprecher «Schalke 05»?
Miosga: Fußball ist ein echtes Minenfeld. Es gab schon massenweise Protestmails, als ich mal gesagt habe: Mannschaft X und Mannschaft Y trennten sich 2:1 — nicht wissend, dass man sich nur unentschieden trennen kann. Seither achte ich höllisch darauf, dass niemand merkt, dass ich nur mäßig Ahnung von Fußball habe.
SPIEGEL: Was halten Sie von dem Satz: Ein Journalist weiß nichts, kann aber alles erklären?
Miosga: Der erste Teil stimmt nicht, der zweite sollte immer stimmen.
SPIEGEL: Man sagt von uns Journalisten immer, wir hätten bestenfalls ein gesundes Halbwissen auf vielen Feldern. Was meinen Sie – ist Halbwissen wirklich gesund?
Miosga: Schön blöde Journalistenstanze. Ich fühlte mich manchmal gesünder, wüsste ich mehr über die vier bis sechs Themen, über die wir täglich im Durchschnitt berichten. Aber in meinem Beruf ist es tatsächlich so: Ich muss zumindest in den innenpolitischen und den wichtigsten außenpolitischen Themen so viel wissen, dass ich sofort ein Interview führen kann. Den Rest muss ich mir immer wieder erarbeiten.
SPIEGEL: Wie informieren Sie sich?
Miosga: Morgens Deutschlandfunk, dann Tageszeitungen, dann über den Tag online, Agenturen und sehr wichtig: die Gespräche mit den Korrespondentinnen und Korrespondenten.
SPIEGEL: Brockhaus oder Wikipedia?
Miosga: Brockhaus habe ich gar nicht mehr. Und in das Grimm'sche Wörterbuch schau ich auch nur noch digital.
SPIEGEL: Atlas oder Google Maps?
Miosga: Google Maps zum Autofahren und Distanzenmessen, Atlas aber viel lieber, um den Kindern zu zeigen, wohin wir in den Urlaub fahren oder wo gerade ein Vulkan ausgebrochen ist.
SPIEGEL: Print oder online?
Miosga: Für die tägliche Arbeit immer alles online und digital. Aber wenn ich Zeit habe und Sonne im Gesicht: viel lieber Gedrucktes. Bilde mir ein, dass das Gehirn das Gelesene so auch viel besser speichert.
SPIEGEL: Lassen Sie uns noch einmal auf Ihre Arbeit schauen. Wie viel Wissen setzen Sie bei Ihren Zuschauern voraus?
Miosga: Zugegebenermaßen: viel. Selbstverständlich erklären wir zu Beginn einer Diskussion aufwendig, was Eurobonds sind oder worin genau der Flüchtlingsdeal mit der Türkei besteht. Aber wenn die Debatten laufen, können wir auch nicht mehr bei null anfangen.
SPIEGEL: Haben Sie noch das Gefühl, dass die Zuschauer Ihnen vertrauen? Oder hat sich das verändert im Vergleich zu früher?
Miosga: Man könnte es meinen, da uns in den sozialen Medien auch viel Misstrauen entgegenschlägt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich staune immer wieder: Wenn – wie in der Corona-Zeit – wirklich etwas Einschneidendes geschieht, bringen die Menschen der «Tagesschau» und den «Tagesthemen» immens viel Vertrauen entgegen und schalten vermehrt ein.
SPIEGEL: Die Coronakrise ist das Thema dieses Jahres. Wie schwer ist es Ihnen selbst gefallen, in der Informationsflut den Überblick zu behalten?
Miosga: Zu Beginn konnten wir nur hinterherrennen; die Eilmeldungen kamen im Minutentakt. Aber als klar war, dass das ganze wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zum Erliegen kommt, konnten wir wieder beginnen zu sortieren und zu reflektieren: Was bedeutet das eigentlich alles? Eine verrückte Situation: Die Politik rotierte, und alles andere stand einfach still.
SPIEGEL: Die Einschätzungen der Experten wurden zunächst kaum hinterfragt, die Politiker anfangs kaum kritisiert. War der Journalismus kritisch genug? Wie schwer war es für Sie als Journalistin?
Miosga: Am Anfang war es schwierig. Alle hatten dieses Gefühl des großen kollektiven Zusammenhalts, die Opposition war ja zunächst auch mucksmäuschenstill, und einige Zuschauer empfanden es als deplatziert, jeden Schritt zu hinterfragen. Aber mit der Zeit veränderte sich das, und selbstverständlich mussten wir die sehr weitgehenden Einschnitte in Grundrechte und Alltagsleben kritisch diskutieren. Und zwar auch und gerade in politischen Interviews.
SPIEGEL: Die öffentlich-rechtlichen Sender sind in dieser Krise sehr gefragt. Sind Sie zufrieden mit der journalistischen Qualität der Sendungen? Was haben Sie gelernt?
Miosga: Wie in jeder Krise wächst mit der Verunsicherung der Menschen auch das Bedürfnis nach Orientierung. Es war toll zu sehen, wie unter hohem Zeitdruck großartige Hintergrundberichte, glänzende Erklärstücke und anrührende Reportagen entstanden; genauso ja auch in den Printmagazinen, mit dem entscheidenden Unterschied, dass diese aufgrund der einbrechenden Anzeigen ums Überleben kämpfen müssen. Und wie die Zuschauer das honorierten. Ein wunderbarer Moment: Nach einem Bericht darüber, wie Schüler aus sehr angespannten Familiensituationen Hilfe beim Kinderhilfswerk Arche fanden, spendete ein Zuschauer spontan eine sechsstellige Summe. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir in dieser Echtzeitjournalismus-Phase nicht nur schnappatmen, sondern uns noch mehr die Zeit nehmen müssen, nachzudenken und Zahlen und Thesen zu überprüfen. Und für mich ein großes Dilemma: In dieser weltumspannenden Krise starren wir vor allem auf uns selbst. Vor Corona haben wir uns auch für Idlib oder für die katastrophalen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern in Griechenland interessiert. Nun finden diese Themen leider zu wenig Platz.
SPIEGEL: Nicht alle sind zu überzeugen: Auch Sie und Ihre Redaktion sehen sich regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, Fake News zu verbreiten. Trifft Sie das?
Miosga: Vor allem im Netz kursieren Angebote von angeblichen Wundermitteln und Verschwörungstheorien. Und uns erreichen auch in der Coronakrise Vorwürfe der Zensur, die Regierung verbiete uns, die Wahrheit zu sagen, beispielsweise darüber, dass Covid-19 nicht schlimmer sei als die Grippe.
SPIEGEL: Was hilft gegen diese Vorwürfe, dieses Misstrauen?
Miosga: Immer wieder auf- und erklären, auf die Motivation von Verschwörungstheorien hinweisen. Und Wissenschaftler zu Wort kommen lassen, Menschen, die wirklich fundiertes Wissen haben. Aber nicht nur Journalisten können etwas gegen verunsichernde Meldungen tun. Jede Einzelne, jeder Einzelne kann Fotos und Aussagen auf ihre Echtheit und Aktualität überprüfen. Ist dieses Bild vielleicht schon mal vor der Corona-Krise veröffentlicht worden? Dafür ist das Internet glücklicherweise auch gut.
Source: spiegel.de
Комментариев нет:
Отправить комментарий