Das Vorgehen wirkt längst einstudiert: US-Präsident Donald Trump fordert oder behauptet etwas, das viel Aufmerksamkeit erregt — und lässt es später dann von anderen relativieren. So auch in diesem Fall: In einem Interview rief Trump Briefwähler dazu auf, am Wahltag im Wahllokal erneut eine Stimmabgabe zu versuchen. Sollte das Briefwahlsystem so gut funktionieren wie von dessen Befürwortern angegeben, «dann werden sie nicht in der Lage dazu sein».
Mit seinem Vorstoß wollte Trump auf das angebliche Betrugspotenzial bei der Briefwahl hinweisen, gegen die er seit Wochen massiv Stimmung macht. Sollte es Briefwählern möglich sein, am Wahltag erneut persönlich abzustimmen, hätte er einen Beleg für seine These, dass das Briefwahlsystem nicht ausreichend vor Betrug geschützt sei.
Doch eine mehrfache Stimmabgabe bei einer Präsidentschafts- oder Kongresswahl, und sei es nur als Test, kann nach US-Bundesrecht eine Geldstrafe von bis zu 10.000 Dollar (8450 Euro) und/oder Haft von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen.
Trumps Entourage gab sich sogleich Mühe, die Aussagen des Präsidenten wieder einzufangen. US-Justizminister William Barr sagte dem Sender CNN zu Trumps Aussage: «Mir scheint es, dass er darauf hinweisen möchte, dass die Möglichkeiten, das System zu überwachen, nicht gut sind. Und dass man erwischt würde, wenn man ein zweites Mal abstimmen wollte, wenn es gut funktionieren würde.»
Ähnlich äußerte sich die Sprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany: Der Präsident habe nicht vorgeschlagen, dass irgendjemand etwas Ungesetzliches tun sollte, sagte McEnany dem Sender Fox News. «Er hat sehr klar gesagt: Stellt sicher, dass eure Stimme in der Tabelle erfasst wurde, und wenn das nicht der Fall ist, stimmt ab.» Trumps Aussagen seien lediglich «aus dem Kontext gerissen» worden.
Der Präsident selbst schrieb anschließend auf Twitter, es gehe ihm darum, dass Wähler sicherstellen sollten, dass ihr Stimmzettel tatsächlich gezählt und nicht verloren oder «zerstört» werde. Briefwähler sollten ihre Stimme so früh wie möglich abgeben, um dann im Wahllokal «zu schauen», ob das Votum per Post gezählt worden sei. Erneut abstimmen sollten die Briefwähler demnach nur, wenn die Stimme nicht erfasst wurde.
Damit sät Trump weiter Zweifel an der Verlässlichkeit der Briefwahl, ohne jedoch Belege zu liefern. Experten widersprechen seiner wiederholten Behauptung, wonach diese betrugsanfällig sei. Justizminister Barr räumte ein, Trumps neue Warnungen basierten lediglich auf «Logik». Er habe keine Erkenntnisse, die auf Betrugspläne hinwiesen.
Die Demokraten um den Präsidentschaftskandidaten Joe Biden fordern angesichts der Corona-Pandemie, eine Briefwahl möglichst vielen Amerikanern möglich zu machen. Aus ihrer Sicht geht es darum, das Infektionsrisiko am Wahltag zu senken. Eine Art Kontrollgang zum Wahllokal, wie Trump ihn nun vorschlägt, würde diesen Effekt der Briefwahl jedoch zunichtemachen.
Der Widerstand des Amtsinhabers dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass er im Fall von zusätzlichen Briefwählern einen Nachteil für sich befürchtet. Nach einer Umfrage des US-Instituts Pew aus der vergangenen Woche würden 58 Prozent der Wähler, die für Biden stimmen wollen, Briefwahl bevorzugen. Das gilt demnach nur für 19 Prozent der Wähler, die ihre Stimme Trump geben wollen.
Source: spiegel.de
Комментариев нет:
Отправить комментарий