Andy Murray hatte es nicht leicht in seiner Karriere. Der mittlerweile 33-Jährige spielt seit nunmehr 15 Jahren in der Ära des Roger Federer, des Rafael Nadal und des Novak Djokovic, dem erfolgreichsten Trio der Tennisgeschichte. Wie viele große Titel sind ihm wegen dieser Konkurrenz wohl verwehrt geblieben?
Auch sein Verhältnis zum Publikum war lange angespannt. Nur wenige Fans konnten sich mit dem stets meckernden und fluchenden Briten anfreunden.
Doch da war noch ein drittes, viel größeres Problem: der eigene Körper. Murray unterzog sich im Laufe der Jahre mehreren Operationen. Die Adduktoren bereiteten ihm lange Schmerzen, dann der Rücken. Letztlich zwang ihn eine langwierige Hüftverletzung zur Aufgabe. Im Januar 2019 erklärte er unter Tränen sein Karriereende. Spätestens im Sommer solle Schluss sein, so Murray damals. Nun, über eineinhalb Jahre später, läuft der ehemalige Weltranglistenerste immer noch über den Platz — und wie.
Bei den US Open steht er nach einem für Murray typischen Comeback in der zweiten Runde. Scheinbar aussichtslos lag er gegen den Japaner Yoshihito Nishioka bereits zurück. Nach 4:38 Stunden verließ Murray den Platz dennoch als Sieger. Jeder Schritt habe «mörderisch wehgetan», doch es war der unbändige Wille, der ihn ein weiteres Mal gerettet hatte. «Aufgeben, das ist nicht meine Natur», sagte Murray nach der bislang spektakulärsten Partie im Turnier. Auf kaum jemanden trifft dieser Satz so präzise zu wie auf Murray.
«Der Feminist, den das Tennis braucht»
Nach seiner Rücktrittserklärung war lange unklar, ob Murray jemals wieder wettbewerbsfähig sein würde. Seither ist viel passiert, im Oktober des vergangenen Jahres gewann er in Antwerpen sogar einen Titel auf der ATP-Tour. Doch darum geht es ihm nicht ausschließlich. Murray verschafft sich seit Jahren vor allem außerhalb der großen Plätze Gehör.
2014 engagierte er als erster Topspieler mit der ehemaligen Weltklassespielerin Amélie Mauresmo eine Trainerin, mittlerweile gilt die Französin als Erfolgs-Coach, ihren Landsmann Lucas Pouille führte sie in Melbourne im vergangenen Jahr in sein erstes Grand-Slam-Halbfinale.
Zudem macht sich Murray immer wieder für mehr Gleichberechtigung in seinem Sport stark. Dabei scheut er auch nicht die Konfrontation, seinen Konkurrenten Djokovic und Nadal widersprach er vehement, als diese die höheren Preisgelder der Herren mit dem höheren Zuschauerinteresse rechtfertigten. Er forderte Turnierveranstalter auf, den Frauen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, indem sie häufiger und zu besseren Zeiten auf den großen Plätzen spielen dürfen. «Der Feminist, den das Tennis braucht», hatte ihn der britische «Guardian» auch deshalb einst genannt.
Nun wartet ein Toptalent auf Murray
Doch auch beim Thema Rassismus zeigt der dreifache Grand-Slam-Sieger immer wieder klare Kante. Murray solidarisierte sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung, die nach dem Tod des Afroamerikaners Georg Floyd auch nach Europa hinüberschwappte. «Ich habe eine Studie über die Führungspositionen in entscheidenden Gremien in den großen englischen Sportverbänden gesehen. Ich glaube, drei von 139 Position sind von schwarzen Menschen besetzt», sagte Murray. Laut dem Briten müsse sich dies dringend ändern. Gemeinsam mit seinem Bruder Jamie sammelt er Geld für wohltätige Zwecke, zuletzt im Juni beim «Schroders Battle of the Brits».
Trotz seines Engagements bei diesen Themen sollte die Konkurrenz nicht den Fehler machen, Murray auf dem Platz zu unterschätzen. Sein Ehrgeiz ist nach wie vor riesig. Beim Masters-Turnier von Cincinnati, das wegen der Corona-Pandemie nach New York verlegt wurde, besiegte er neben Frances Tiafoe (USA) auch Deutschlands derzeit besten Tennisspieler Alexander Zverev in drei Sätzen. Erst der spätere Finalist Milos Raonic erwies sich dann als zu große Herausforderung für Murray.
Bei den US Open, die Murray 2012 gewinnen konnte, ist ihm erneut einiges zuzutrauen. In der zweiten Runde wartet mit Félix Auger-Aliassime eines der größten Talente auf den Schotten. Der Kanadier gilt als kommender Grand-Slam-SIeger und geht als Favorit in das Duell.
Doch sowohl sein Kämpferherz als auch die Erfahrung sprechen für Murray. In 872 Partien auf der ATP-Tour hat der 33-Jährige 675 Mal gewonnen und 46 Titel geholt. Auch in engen und ausweglosen Situationen lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Gegen Nishioka drehte er zum insgesamt zehnten Mal in seiner Karriere einen 0:2-Satzrückstand. Niemandem in der Tennisgeschichte gelang das öfter.
Source: spiegel.de
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