суббота, 5 сентября 2020 г.

Polarisierung in Frankreich: Die Hoffnung stirbt zuerst

Emmanuel Macron bemühte sich am Freitag, mit seiner Rede zum 150. Geburtstag der französischen Republik die Herzen und Geister seiner Landsleute zu erreichen, zu bewegen.

Er sprach vor dem Pantheon, der Ehrenhalle für die illustren Toten der französischen Geschichte, ein Ort des Konsenses. Die Republik sei unteilbar sagte er — ein altes Mantra, das Mut machen soll.

Wie so oft in der französischen politischen Rhetorik ergibt sich mit dieser Aussage aber ein Problem. Denn sie bezeichnet eine Norm: Die Republik soll unteilbar sein, mit gleichen Rechten und Pflichten für alle. Man muss sich anstrengen, um dieses Ziel zu erreichen. Aber so ausgesprochen klingt es wie eine Zustandsbeschreibung – und dann passt es nicht.

Dann öffnet sich die Kluft zwischen dem, wie Frankreich gerne wäre, und dem, wie es ist. Denn real ist die französische Gesellschaft aktuell gespaltener denn je, zwischen Umgang mit Islamismus, neuem Antisemitismus, Rassismus und Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit.

Den Bürgerinnen und Bürgern ist ihr Land unheimlich geworden. Die Französinnen und Franzosen möchten Macron vielleicht gerne glauben, wenn er von der Einheit spricht. Aber je öfter er sich wiederholt, desto stärker werden die Zweifel, aus denen Frankreich nicht mehr herausfindet.

Zuletzt kristallisierte sich dieser Zweifel auch im Prozess um mutmaßliche Helfer beim Attentat gegen die Satirezeitung «Charlie Hebdo» und den koscheren Supermarkt «Hyper Cacher», der diese Woche begann. Es soll ein historischer Prozess werden, viele Angeklagte, viele Verhandlungstage, die alle gefilmt werden für die Nachwelt.

Große Erwartungen für ein Strafverfahren gegen Komplizen, meist kleine Kriminelle ohne islamistische Relevanz. Als wären die Nürnberger Prozesse gegen Fahrer und Sekretärinnen der Reichskanzlei geführt worden.

Kann immerhin das Recht, kann die Sprache der Aussagen, des Gesetzes, den Schrecken bannen, der Frankreich noch immer traumatisiert? Das ist das Versprechen. Aber die Stimmung im Lande ist so, dass die Hoffnung zuerst stirbt.

Nach den Attentaten vom Januar 2015 war das Land geeint wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Frankreich erkannte sich, seine Werte im Ethos der Opfer. «Je suis Charlie» — der Slogan wurde spontan von allen geteilt, denn tatsächlich ist der anarchische Geist der Karikaturen des Blattes eine Quelle der französischen Identität, der Freiheit.

Aber der Spruch entwickelt komplizierte Nebenwirkungen, denn eine Debatte darüber, wer Charlie denn eigentlich ist, blieb aus. Charlie sein, das impliziert, denselben Mut an den Tag zu legen wie die ermordeten Personen. Und wer kann sich das jederzeit guten Gewissens zuschreiben?

Charlie ist einer ganz spezifischen französische Tradition verpflichtet, gegen alles und jedes ätzen zu dürfen. Hier ist jeder Priester ein geiler Päderast, jeder Polizist ein rechter Bulle. Als alle Welt von dem Foto des toten Alan Kurdi bewegt war, ehrte Charlie ihn mit einer Zeichnung, die seine Leiche vor einem McDonalds-Werbeplakat für «Happy meals» zeigt. Und der Zeile: So kurz vor dem Ziel. 

Aber nicht jeder kann Charlie sein. Und manche möchten es auch nicht, weil die Debatte sie nicht mitdachte.

Danièle Obono etwa, Abgeordnete der linken «France Insoumise», ein Lieblingsziel der Rechten, hat mit dem Gesamtwerk von «Charlie» ihre Probleme. Und wurde deswegen von dem hart am rechten Rand polemisierenden Journalisten Éric Zémmour massiv kritisiert. In einem Interview wurde die Schwarze Obono später gefragt, ob sie denn nach den Anschlägen keine Trauer empfunden habe, was sie nachvollziehbarerweise als Infragestellung ihrer Humanität verstand, eine Ausgrenzung durch Nachfrage: «So ein Massenmord an unbewaffneten Leuten, finden Sie das gut oder schlecht?»

Obono war im Sommer von dem rechten Magazin «Valeurs actuelles» als halbnackte, gefesselte Sklavin gezeichnet und beschrieben worden, im Kontext eines Sommerromans über die Geschichte des afrikanischen Menschenhandels im 18. Jahrhundert. Obono stellte Strafantrag. Der Gag der Geschichte sollte sein, dass auch Afrikaner am Menschenhandel beteiligt waren, was jedes Schulkind weiß, aber hier nochmal betont wurde. Die Untertöne sind klar: Nicht nur «Wir Weißen» sind böse gewesen, die anderen auch. 

Wer ist Opfer, wer ist Täter — darauf ist die Hebdo-Debatte in Frankreich im Moment reduziert, ein perfektes Setting, um sich jahrelang im Kreis zu drehen. Denn wirklich erforscht, aufgeklärt und gelehrt werden die Geschichte des Kolonialismus, des Algerienkriegs, der Beziehungen zu Afrika nicht. Eine große, populäre Ausstellung über Verstrickungen, Versprechen, Migration und Propaganda in den Beziehungen Frankreichs zum Maghreb und Schwarzafrika fehlt dringend.

Wirklich zu Wort kommen auch die Bewohner der Vorstädte nicht. Das Attentat auf «Charlie Hebdo» wurde als Anschlag von Außen, als Tat fremder Mächte gewertet — das war aber nur ein Teil der Wahrheit.

Die politische Reaktion des damaligen Präsidenten Hollande bestand darin, Täter solcher Attentate die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen. So, als würden Franzosen keine islamistischen Killer sein können, weil sie es nicht sein sollen — auch hier die Kluft zwischen dem, was Franzosen sein müssten und dem, was sie manchmal sind.

Eine Theatralik des Hasses

Einer, der mit großer Sorge die kulturelle und politische Entwicklung Frankreichs verfolgt, ist der Autor Marc Weitzmann. In seinem Buch «Un temps pour haïr», Zeit des Hasses, beschreibt er, wie die Weigerung, sich dem uralten, aber wieder rapide zunehmenden Antisemitismus zu stellen, in eine vergiftete Lage geführt hat.

Es ist, sagt er, als seien die alten ideologischen Lager der Kommunisten und der Gaullisten weggeschmolzen und nun trete zutage, was darunter liegt, was keiner sehen oder hören wollte: Ein ursprünglicher Hass auf Juden, auf die Moderne — die ganzen unseligen Vorstellungen von einem ursprünglichen, ländlichen und männlich dominierten Frankreich. Sie spuken immer noch herum. Hinzu kommen die Weigerung und die Unfähigkeit des linken liberalen Lagers, auf den aufkommenden Islamismus zu reagieren.

Wie stiftet man Vertrauen und überwindet das Beschweigen?

Die gut gemeinte Solidarität mit Migranten machte blind für die politische Agenda der Prediger und ihrer Gefolgsleute. Die Attentate hätten dieser ideologischen Gemengelange eine neue Dimension hinzugefügt, eine Theatralik des Hasses, der Gewalt und eine Militanz, die, so Weitzmann, den Selbsthass vieler Intellektueller bestärkt. Wie in den Dreißigerjahren bewundere man Männer der Tat und verachte die moderaten Vielredner, eine neue Härte und Unversöhnlichkeit präge das Land.

Die einen sehen überall eine unaufgearbeitete koloniale Vergangenheit, die anderen sind davon überzeugt, der große Bevölkerungsaustausch gehe vonstatten, in dem die alteingesessenen Gallier durch Menschen aus Afrika ersetzt werden.

Eine wirkmächtige rechte Verschwörungstheorie, die nahezu täglich von dem in seinem südfranzösischen Schloss weilenden Autor Renaud Camus auf Twitter verbreitet wird. Beide Seiten eine die Sehnsucht nach männlicher Männlichkeit, der Islamist und der Rechtsradikale sind sich einig in der Verehrung der Kämpfer und der Abscheu vor starken Frauen, sanften Männern und nicht-binären Personen.

In Frankreich bricht sich etwas Grundlegendes Bahn, ein Ringen um Zivilisation und Identität. Wie stiftet man Vertrauen und überwindet das Beschweigen? Welche Extreme vergiften den Diskurs, statt ihn zu befördern? Wer ist Charlie?

Icon: Der Spiegel

Source: spiegel.de

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