SPIEGEL: Senhor Rocha, nur Urlauber, die schon an Covid-19 erkrankt waren, dürfen nach Fernando de Noronha einreisen. Wie sind Sie auf diese weltweit vermutlich einzigartige Idee gekommen?
Guilherme Rocha: Sie ist Teil eines mehrstufigen Plans, den wir in vielen Diskussionen gemeinsam mit der Regierung des Bundesstaates Pernambuco, mit Wissenschaftlern, den Vertretern von Hotels und Restaurants, den Organisatoren von Tauchkursen und Bootstouren erarbeitet haben. 98 Prozent unserer Einkünfte stammen aus dem Tourismus. Durch die Isolation der vergangenen Monate sind sie komplett weggebrochen, und irgendwann wird es kompliziert. Deshalb haben wir einen Weg gesucht, wie wir auf sichere, verantwortungsvolle Weise wieder auf die Beine kommen können.
SPIEGEL: Was haben Sie genau vor?
Rocha: Der Plan ist im Grunde simpel. Es ist zwar noch nicht geklärt, ob überhaupt und wenn ja wie lange ein Covid-19-Genesener immun ist gegen das Coronavirus. Es gibt aber ermutigende Hinweise auf eine lang anhaltende Immunität. Wer uns besuchen will, muss deshalb vor der Einreise belegen, dass er in der Vergangenheit schon infiziert war, entweder mithilfe eines Antikörpertests oder eines positiven, mindestens drei Wochen alten PCR-Tests.
SPIEGEL: Knapp vier Millionen Brasilianer sind in den vergangenen Monaten an Covid-19 erkrankt. Noch immer melden die Behörden täglich zwischen 30.000 und 40.000 positive Fälle. An potenziellen Besuchern mangelt es jedenfalls nicht.
Rocha: Traurig, aber wahr.
SPIEGEL: Gibt es auf der Insel keine Bedenken hinsichtlich möglicher Neuansteckungen?
Rocha: Nein. Wir glauben, dass das Risiko sehr gering ist. Und nach allem, was hinter uns liegt, ist uns wirklich nicht daran gelegen, das Virus wieder hier zu haben. Im Gegensatz zu unserem Präsidenten Jair Bolsonaro war uns das Leben immer wichtiger als die Wirtschaft. Ende März waren wir die Ersten in Brasilien, die im Lockdown waren. Bars, Strände, Restaurants, alles war geschlossen. Zwei Monate lang durfte niemand die Insel betreten oder verlassen.
Schon seit Mai haben wir keine lokalen Infektionen mehr, das wissen wir durch Tests, die wir in regelmäßigen Abständen bei 900 unserer 3500 Einwohner durchführen. Wenn wir positive Fälle haben, dann sind es Menschen, die von außerhalb kommen, aber durch Tests bei der Einreise und anschließende Quarantänevorschriften gelingt es uns, sie rauszufiltern. Diese Kontrolle, die wir haben, wollen wir nicht einfach wieder wegwerfen. Natürlich könnten wir Fernando de Noronha ganz öffnen, aber Eile ist in dieser Pandemie der Feind der Perfektion.
SPIEGEL: Wie haben die vergangenen Monate das Leben auf der Insel verändert?
Rocha: Es war eine interessante Erfahrung. Denn das Leben war auf gewisse Weise wieder so wie früher, als sich noch nicht alles um die Touristen drehte. Heute ist es ja so: Wer nicht in einem Hotel, einer Bar oder einem Restaurant arbeitet, der ist Taxifahrer, Tauchlehrer oder Fotograf. Das änderte sich mit der Pandemie. Die Bewohner rückten wieder näher zusammen, sie beschäftigten sich plötzlich nicht mehr mit den Fremden, sondern mit ihren Nachbarn. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als das Essen knapp wurde, schlossen sich viele unserer Fischer zu einer Initiative zusammen. Regelmäßig fuhren sie raus und verteilten ihren Fang unter den Bürgern. Private Unternehmer spendeten Lebensmittel.
SPIEGEL: Gab es Hilfe aus Brasilia?
Rocha: Nein, nichts. Dieser Präsident ist ein Desaster. Corona ist für ihn eine leichte Grippe, die man mit dem Malariamittel Chloroquin behandeln kann. Dadurch, dass er die Leute aufgefordert hat, rauszugehen und zu arbeiten, um die Wirtschaft nicht zu ruinieren, sind wir jetzt in dieser Lage. Das Virus ist überall, es ist kaum Besserung in Sicht. Es ist unglaublich.
SPIEGEL: Trotzdem schwimmt Bolsonaro zurzeit auf einer ungeahnten Popularitätswelle. Millionen Brasilianer danken ihm, weil die Nothilfe der Regierung ihr Überleben sichert.
Rocha: Von diesem Geld kommt hier bei uns kaum etwas an. Die meisten unserer Bewohner haben Probleme, die für den Antrag nötigen Papiere zusammenzubekommen. Es ist alles sehr kompliziert, sehr bürokratisch. Aber es geht auch anders. Wir haben eine SMS mit einem Link an alle Einwohner geschickt. Die Bedürftigsten konnten sich dort registrieren und erhalten jeden Monat 35 Euro Guthaben auf eine virtuelle Kreditkarte, mit der sie in den Läden auf der Insel einkaufen können.
SPIEGEL: Sie sind nicht gut auf den Präsidenten zu sprechen — wieso nicht?
Rocha: Anfang des Jahres hat er gefordert, Fernando de Noronha für den Massentourismus zugänglich zu machen. Die Rede war von Kreuzfahrtschiffen, Casinos, künstlichen Riffen. Mit der Pandemie verschwand diese Diskussion zunächst, aber vor zwei Monaten tauchte sie in den sozialen Medien wieder auf. Ich meine: Was soll der Unsinn? Wir haben diese einzigartige Natur. Wir brauchen keine künstlichen Riffe, sondern eine ordentliche Kanalisation. Ich befürchte allerdings, dass knapp 3000 Wähler ein schwaches Argument sind.
SPIEGEL: Für Samstag erwarten Sie den ersten Flug, der wieder Urlauber auf die Insel bringt. Was für einen Ort werden diese Menschen vorfinden?
Rocha: Eine Insel, die noch dabei ist, wieder aufzuwachen. Weil es seit Monaten nur einen Flug pro Woche gibt, sind viele Angestellte, die auf dem Festland leben, noch gar nicht wieder zurück. Noch nicht alle Restaurants und Bars haben wieder geöffnet. Aber vielleicht gibt es gerade deshalb keinen besseren Moment als jetzt, um uns zu besuchen.
Source: spiegel.de
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