Fußball lebt von der Parteinahme. Es geht wirklich nicht um «Der Bessere soll gewinnen», es geht um «Der eigene Verein soll gewinnen». Im Grunde egal wie. Und wenn am Abend das Duell zweier Teams ansteht, die nicht zu den eigenen Lieblingsmannschaften zählen, drängt sich, bewusst oder unbewusst, die allererste Frage auf: «Für wen bin ich jetzt?»
Eine Frage, die schon mal leichter zu beantworten war als beim heutigen Halbfinale der Champions League zwischen RB Leipzig und Paris Saint-Germain.
Auf der einen Seite mit Leipzig der Klub, der vor etwas mehr als zehn Jahren auf der grünen Wiese geschaffen wurde, den viele nach wie vor nicht einen Verein, sondern ein Konstrukt nennen, aufgestiegen aus der Fünftklassigkeit nach Übernahme der Lizenz aus Markranstädt, die Alt-Klubs danach im Turbotempo überholend, auf Tradition bewusst pfeifend, gar damit offensiv kokettierend, dass man damit nichts zu tun hat. Die selbsternannte Moderne. Und siehe da: Da ist wieder ein Neuzugang aus Salzburg.
Anerkannt, nicht geliebt
Auf der anderen Seite der Klub, der mit dem Geld aus Katar in die höchsten Sphären gehoben wurde. Der Verein, der nonchalant 222 Millionen Euro für den Stürmer Neymar investieren kann, den das Financial Fairplay und die Gepflogenheiten des Transfermarktes bestenfalls dann interessieren, wenn das Thema mal wieder vor dem Internationalen Sportgericht verhandelt wird. Ein Verein, der auf ungesunde Weise personell und ökonomisch mit dem Emirat und seinem Regime verflochten ist. Wobei man sich nur schwer vorstellen kann, auf gesunde Weise mit Katar verflochten zu sein.
Betreut werden beide Klubs von hochbegabten deutschen Trainern, Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel, die sich in ihrem Ehrgeiz und ihrer Obsession, auch mit ihrem Stich ins Verbissene, durchaus ähneln. Respektiert, fachlich anerkannt, bei der Disziplin, die Fanherzen im Flug zu erobern, hapert es noch ein wenig.
Seit Tagen wird in der Öffentlichkeit und erwartbar vor allem auf Social Media heftig gestritten, wie gerade mit dem Erfolg von RB Leipzig umzugehen sei. Die Macher des Fußballmagazins «11 Freunde» bedienen ihre Zielgruppe der Traditionsbewussten und ignorieren den RB-Erfolg mit vielen Worten, demgegenüber gibt es anderswo Kommentare wie diesen hier im RBB-Inforadio, die die Ablehnung von RB als heuchlerisch bezeichnen. Die Argumente sind bekannt, es ist ein zehn Jahre alter Streit, durch den internationalen Erfolg von RB neu entfacht.
Nicht nur Liebe ist eine starke Emotion
Es gibt so viele Arten, auf den Fußball zu gucken. Es gibt den intellektuellen, den ökonomischen Zugang zum Fußball, man kann es mit geradezu chirurgischer Analyse versuchen, am Ende aber landet, wer die Faszination dieses Sports ergründen mag, bei der Emotion. Wer für einen Verein ist, ist logischerweise gleichzeitig gegen einen Verein. Wer «Liebe», gar «Echte Liebe» im Fußball verkauft, der bekommt es im Umkehrschluss auch mit der anderen Seite zu tun. Hass mag ein hässliches Wort sein, ein hässliches Gefühl ist es auch, es ist aber in jedem Fall auch eine starke Emotion, eine Fußball-Emotion. Die Abneigung ist eine besondere Form der Zuneigung im Fußball.
Daher hat das immer schon merkwürdig gewirkt, wenn Fußballgucker im Europapokal sehr unvermittelt zu Vereinen umschwenken, die sie in der Liga verabscheuen. Allein weil es deutsche Klubs sind, weil es der Fünf-Jahres-Wertung oder dem Uefa-Koeffizienten nütze. Eine statthafte Sichtweise, sicherlich, aber eine sehr nüchterne, sehr kühle, eigentlich eine Fußball-untypische Perspektive. Plötzlich ist man Bayern-Fan. Wie kann das sein?
Man kann die Arbeit, die RB Leipzig und PSG leisten, anerkennen, auch die Cleverness, die dort waltet. Man muss es sogar. Dass RB mittlerweile eine Fanbasis besitzt, die sicher auch mit einem gewissen Lokalpatriotismus und dem sportlichen Erfolg des Teams zusammenhängt, steht fest. Und dass es Fußballfreunde gibt, die sich gerade deswegen für Leipzig oder Hoffenheim interessieren, weil sie das ewige Gerede der Traditionalisten anödet. In Paris wird es ähnlich sein. All das gibt es, und es ist selbstverständlich legitim.
Das Recht, diese Klubs dennoch nicht zu mögen, ist es auch.
Die Modernisten, wenn man sie so nennen mag, weisen mit Vorliebe darauf hin, dass auch die sogenannten Traditionsvereine heute mindestens so durchgentrifiziert und -kommerzialisiert sind wie die Neureichen. Der börsenorientierte BVB, der von Gazprom und Tönnies alimentierte FC Schalke und so weiter. Das ist klar, dem zu widersprechen wäre vollständig lächerlich. Und die Ungleichbehandlung im Fußball besteht ohnehin eher zwischen Bayern München und dem VfL Bochum als zwischen dem FC Bayern und RB Leipzig.
Der Unterschied, dass sich Dortmund, Schalke und Co über viele Jahrzehnte dorthin bewegt haben, wo sie jetzt sind, während in Leipzig der Prozess als von Anfang an durchgeplanter Erfolg sozusagen im kapitalistischen Schnelldurchlauf vollzogen wurde, bleibt aber bestehen. Mit diesem Makel müssen die Investorenklubs leben — und auch mit dem Feindbild.
Am Mittwoch spielen der FC Bayern und Olympique Lyon im zweiten Halbfinale gegeneinander. Da fällt es dann wieder wesentlich leichter, sich zu entscheiden.
Source: spiegel.de
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