Seit Langem gilt für US-Außenminister das ungeschriebene Gesetz, dass sie sich nicht in die Parteipolitik einmischen sollen. Dennoch hat Amtsinhaber Mike Pompeo jetzt auf dem Parteitag der Republikaner eine kämpferische Ansprache abspielen lassen, die er während seines Israelbesuchs Anfang der Woche aufgezeichnet hatte.
Der Ärger war absehbar. Dies sei «absolut skandalös» und «womöglich illegal», hieß es sogleich auch aus den Reihen der Demokraten um Präsidentschaftskandidat Joe Biden. Der Außenminister habe das Geld der Steuerzahler für den Wahlkampf Donald Trumps missbraucht.
Doch die Gelegenheit war für Pompeo wohl einfach zu schön.
Die «christlichen Zionisten» betrachten die US-Israelpolitik als Erfüllung eines göttlichen Heilsplans
Auf dem Dach des Jerusalemer King-David-Hotels postierte er sich so vor der Kamera, dass hinter ihm die nächtliche Altstadt leuchtete, eingerahmt von den Hängen des Ölbergs. Über seiner linken Schulter glänzte die goldene Kuppel des Felsendoms, eines der islamischen Hauptheiligtümer. Sie erhebt sich dort, wo einmal der jüdische Tempel stand, der vor fast 2000 Jahren von den Römern zerstört wurde.
In den Augen von Millionen Trump-Anhängern aus den Reihen der „christlichen Zionisten" haben diese Bilder eine ganz besondere Bedeutung, die sich anderen nur schwer erschließt. Sie betrachten die amerikanische Israelpolitik unter Trump als Erfüllung eines göttlichen Heilsplans.
Im Mittelpunkt dieses Plans, so glauben sie, stehe Jerusalem. Auch Pompeo, der die Außenpolitik der mächtigsten Nation der Erde maßgeblich mitbestimmt, ist davon überzeugt. Wie für alle „christlichen Zionisten" sind Politik und Religion für ihn untrennbar miteinander verschmolzen.
Mächtige Wählergruppe
Jerusalem ist nach dieser Vorstellung nicht nur die Hauptstadt Israels und die heilige Stadt der Christen, Juden und Muslime, sondern der Ort, wo sich das Schicksal der gesamten Menschheit erfüllen wird — vielleicht schon bald, in einigen Jahrzehnten.
Die „christlichen Zionisten" sind in den USA eine machtvolle Untergruppe der Evangelikalen, die für Trumps Wahlsieg 2016 entscheidend waren und mit großer Treue zu ihm halten.
Sämtlichen Evangelikalen ist gemeinsam, dass ihnen das geschriebene Wort der Bibel über alles geht. Manche nehmen die heilige Schrift wortwörtlich, andere lassen mehr Spielraum für Interpretationen.
Am Ende steht der Weltuntergang
Die «christlichen Zionisten» sind ganz vom Gedanken an die Endzeit erfüllt, wie sie in der Offenbarung des Johannes apokalyptisch ausgemalt wird. Aber auch andere biblische Bücher warten mit Vorhersagen auf, die sich eines Tages angeblich erfüllen werden — die düsteren Prophezeiungen ebenso wie die paradiesischen Verheißungen.
Ein künftiges Großereignis soll demnach die Wiederkunft von Jesus Christus sein. Wo? Natürlich dort, wo er gekreuzigt wurde, in Jerusalem. Der Sohn Gottes werde mit dem Antichrist kämpfen und ihn niederringen, er werde auf Erden ein Königreich errichten und 1000 Jahre herrschen, er werde Gericht über die Gläubigen und die Ungläubigen halten. Die Vorstellungen über die Reihenfolge variieren unter den Gläubigen, aber das Ende ist bei allen gleich: Die Welt geht unter, und fromme Christen kommen in den Himmel.
Gern berufen sich die «christlichen Zionisten» auf die Lehre eines im 19. Jahrhundert geborenen Predigers, William E. Blackstone. Er schrieb den Juden eine Schlüsselrolle im Kampf um die Erlösung der Menschheit zu. Dies war zu einer Zeit, als die zionistische Bewegung zu einem politischen Faktor wurde. Die Rückkehr der Juden ins Land der Bibel hatte Fürsprecher in vielen Ländern.
Der christliche Prediger Blackstone war einer von ihnen. Denn für ihn stand fest: Erst wenn Jerusalem wieder sicher in jüdischer Hand ist, könne Jesus zurückkehren und den Kampf gegen das Böse aufnehmen.
Zu Blackstones Schlüsselbegriffen gehörte die «Entrückung» («rapture»), die er wie in einem Hollywoodfilm ausmalte: Gläubige Christen würden während der Endzeit körperlich in den Himmel auffahren und eine Art Armee für die Schlacht um Armageddon bilden. Auch ein Drittel der Juden werde Jesus als Messias erkennen, zum wahren Glauben konvertieren und sich retten, die übrigen aber würden untergehen.
Erfolgreiche Lobbyarbeit für die Verlegung der US-Botschaft
Über die Zeit der «Entrückung» hat auch US-Außenminister Pompeo bereits gesprochen. Er lobte Blackstone auf einer Versammlung von Glaubensgefährten im vorigen Jahr: Der Prediger habe einst bei US-Präsident Woodrow Wilson dafür geworben, den Juden in Palästina eine Heimat zu geben.
Heute schreiben sich führende «christliche Zionisten» auf die Fahnen, dass sie erfolgreich Lobbyarbeit für die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem betrieben hätten. Anscheinend haben sie recht. Als die Botschaft 2018 eingeweiht wurde, sprach Pastor Robert Jeffress zu Beginn ein Gebet, Reverend John Hagee erteilte zum Schluss den Segen. Beide sind Trump-Gefolgsleute mit einer großen Anhängerschaft von Gläubigen. Beide haben schon viele seltsame Dinge gesagt.
Jeffress erklärte, dass den Juden die ewige Verdammnis bevorstehe, wenn sie nicht zum Christentum bekehrt würden. «Du kannst nicht gerettet werden, wenn du Jude bist.» Daran werde auch ein frommer Lebenswandel nichts ändern. «Die Hölle wird voll sein mit guten religiösen Leuten, die die Wahrheit Christi abgelehnt haben.»
Bizarre Thesen von Trumps Prediger
Hagee verbreitete die bizarre These, dass Adolf Hitler ein Erfüllungsgehilfe Gottes gewesen sei. Alle Juden hätten besser dem Ruf des Zionismus folgen und nach Palästina auswandern sollen. «Jene die kamen, gründeten Israel; die es nicht taten, machten die Hölle des Holocaust durch.» Hitler sei «ein Jäger» gewesen, von Gott gesandt, so wie es schon der Prophet Jeremias beschrieben habe. Hagee wusste auch, warum: «Weil Gott sagte, meine oberste Priorität für das jüdische Volk ist, sie dazu zu bewegen, nach Israel zurückzukehren.»
Der 80-jährige Prediger aus Texas verfügt über enormen Einfluss, seine Organisation Christians United For Israel (CUFI) hat rund sieben Millionen Mitglieder und gilt als größtes proisraelisches Bündnis in den Vereinigten Staaten.
Wenn Hagee zu seinen alljährlichen CUFI-Konferenzen einlädt, wimmelt es von hochkarätigen Politikern und Diplomaten aus den USA und Israel. An der digitalen Versammlung im Juli nahmen mehrere Botschafter beider Länder teil, Israels Staatspräsident Reuben Rivlin sowie die verfeindeten Regierungspartner Benjamin Netanyahu und Benny Gantz. Dazu etliche Senatoren aus Washington — und natürlich Außenminister Mike Pompeo.
Source: spiegel.de
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