Am Haus prangt ein Schild mit dem Hinweis «WeiberWirtschaft», darunter steht: «Gründerinnenzentrum». Hier, in Berlin-Mitte, hat das «Centre for Feminist Foreign Policy» seinen Sitz, das Zentrum für feministische Außenpolitik. Kristina Lunz, 30, Mitgründerin und Geschäftsführerin des Zentrums, empfängt im Innenhof des Gebäudes, Corona-konform.
SPIEGEL: Sie plädieren für eine feministische Außenpolitik. Was ist das überhaupt?
Kristina Lunz: Traditionelle Außenpolitik geht davon aus, dass die Welt in Anarchie lebt, weil es keine supranationale Regierung gibt. In dieser Welt wollen alle Staaten ihre eigene Macht vergrößern, das funktioniert vor allem durch die militärische Unterdrückung anderer Akteure. Feministische Außenpolitik dagegen stellt die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt und will das internationale Machtgefüge so ändern, dass die Bedürfnisse aller Gruppen gesehen werden und Menschenrechte prioritär behandelt werden.
SPIEGEL: Das klingt sehr theoretisch. Sie kommen aus einem kleinen Dorf in Franken. Wie würden Sie feministische Außenpolitik in der Dorfkneipe erklären?
Lunz: Unsere Gesellschaft wurde über hunderte Jahre so aufgebaut, dass sie sich an den Bedürfnissen von einflussreichen, weißen Männern orientiert. Feministische Außenpolitik will erreichen, dass nicht mehr diese Männer der Maßstab sind, sondern alle Menschen. Dafür müssen wir strukturelle Ungerechtigkeiten abbauen.
«Waffengewalt zeigt die soziale Ungerechtigkeit, und sie verfestigt die Position der Mächtigen. «
SPIEGEL: Sie setzen sich für Demilitarisierung ein. Was haben Waffenexporte mit Feminismus zu tun?
Lunz: Wenn sich die internationale Gemeinschaft darauf verständigt hat, dass Staaten andere Staaten unterdrücken müssen, um die eigene Macht zu vergrößern, dann spielen Waffen dabei eine sehr wichtige Rolle. Waffengewalt zeigt die soziale Ungerechtigkeit, und sie verfestigt die Position der Mächtigen. Männer besitzen Waffen und üben Waffengewalt aus. Frauen werden disproportional häufig Opfer von Waffengewalt. Disproportional deswegen, weil sie die Waffen nicht besitzen. Da ist ein riesiges Machtgefälle. Ein anderes Beispiel: Die meisten Waffen werden im globalen Norden produziert, führen aber vor allem zu Konflikten im globalen Süden. Beim Feminismus geht es darum, bestehende Machtdynamiken in Frage zu stellen. Um diese Dynamik aufzubrechen, müssen wir die Demilitarisierung vorantreiben.
SPIEGEL: Das klingt ja alles ganz schön, aber auch ganz schön unrealistisch.
Lunz: Die Vorstellung einer Gesellschaft, in der Rechte, Ressourcen und Macht fair verteilt sind, ist eine Utopie. Das ist die feministische Vision. Wir müssen uns fragen, wie wir vom Status Quo, in dem in Deutschland jeden dritten Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin tötet, zur Utopie gelangen. Mit Greenpeace arbeiten wir an einer Studie zum Einsatz deutscher Waffen weltweit bei geschlechtsspezifischer Gewalt, also beispielsweise bei häuslicher Gewalt oder Gewalt gegen Politikerinnen. Dadurch erhoffen wir uns auch, dass die Bundesregierung striktere Kriterien anlegt, wenn sie darüber entscheidet, ob deutsche Waffen exportiert werden. Damit wären wir nicht am Ziel, denn unser Ziel ist ein Ende des internationalen Waffenhandels, aber es wäre ein kleiner Schritt.
SPIEGEL: Deutschland hat keine feministische Außenpolitik, Länder wie Schweden, Kanada und Mexiko sind da weiter. Wie bewerten Sie die Arbeit des SPD-Außenministers Heiko Maas in der Hinsicht?
Lunz: Deutschland hat sexualisierte Gewalt in militärischen Konflikten auf die Agenda des Uno-Sicherheitsrates gesetzt, das Auswärtige Amt hat unter Leitung von Heiko Maas das erste Mal einen Bericht zur Gleichberechtigung in der deutschen Außenpolitik erarbeitet. Ich finde, Heiko Maas macht eine sehr gute Figur, was seinen Einsatz für Frauenrechte angeht. Für mich wirkt er wie jemand, der es wirklich ernst meint, integer und überzeugend. Maas ist kein Pinkwasher. Ich würde mir aber wünschen, dass er auf einer höheren Ebene im Auswärtigen Amt mehr Raum für feministische Denker und Denkerinnen schafft und feministische Perspektiven in allen Bereichen mitdenkt — nicht nur bei Menschenrechten.
«Dann habe ich gemerkt, dass in diesem einen Raum alle Frauen waren, die an der Sicherheitskonferenz teilnehmen. Ich dachte: What the fuck?»
SPIEGEL: Sie haben selbst als Beraterin im Auswärtigen Amt gearbeitet, waren auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Werden Sie in diesen Kreisen ernst genommen, als junge Frau?
Lunz: Auf der Münchner Sicherheitskonferenz gibt es in einem großen Raum ein Frauenfrühstück. Dieses Jahr war Nancy Pelosi zu Gast, die tollsten und beeindruckendsten Frauen waren dort versammelt. Dann habe ich gemerkt, dass in diesem einen Raum alle Frauen waren, die an der Sicherheitskonferenz teilnehmen. Ich dachte: What the fuck? Und selbst wenn man dahin eingeladen ist, weiß man ja auch, dass die wirklich interessanten Sachen in den Hinterzimmern passieren. Bis da eine junge Frau, eine Feministin wie ich, Einfluss bekommt, werden wir noch lange kämpfen müssen.
SPIEGEL: In Deutschland wurde während der Corona-Pandemie viel über den Rückfall in traditionelle Rollenbilder diskutiert. Wie sehen Sie das?
Lunz: Weltweit werden die Rechte von Frauen gerade beschnitten, vor allem die Rechte der Frau am eigenen Körper. Die Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen werden verschärft, Männer üben mehr Gewalt gegen Frauen aus, vor allem zu Hause. Unsere Forderung ist, mehr Geld und politische Kraft in die Verteidigung und Verwirklichung der Menschenrechte der Frau zu stecken. Schweden ist da ein gutes Beispiel, das Land hat während der Krise viel Geld für Verhütungsmittel weltweit gespendet. Großbritannien hat unter bestimmten Umständen Schwangerschaftsabbrüche zu Hause erlaubt.
SPIEGEL: In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche nie legal, sondern in einem bestimmten Zeitraum straffrei.
Lunz: Ja, das ist unglaublich. Unsere Rechtslage wird übrigens oft von populistischen Regierungen als Vorlage genommen, wenn sie das Recht auf sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche weiter einschränken. So lange wir Menschen so stark unterdrücken, dass wir ihnen nicht einmal erlauben, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, so lange werde diese Menschen keine volle Autonomie haben. Die ist aber die Grundvoraussetzung für politische Partizipation.
SPIEGEL: Die EU will außen- und sicherheitspolitisch eine größere Rolle spielen. Aus feministischer Sicht: Was ist dafür notwendig?
Lunz: Diese Forderung ist vor allem damit verbunden, militärisch mehr Stärke zu zeigen. Wir versuchen, dem eine Alternative entgegenzusetzen. Wir wollen eine enge gemeinsame Außenpolitik der EU, aber die darf auf keinen Fall eine Vertiefung militärischer Sicherheitsstrukturen bedeuten.
SPIEGEL: In Libyen gibt es täglich Menschenrechtsverletzungen. Wie sollen dort ohne Einsatz von Militär Menschenrechte verteidigt werden?
Lunz: Ich maße mir nicht an, zu wissen, wie man den Libyenkonflikt oder den Syrienkrieg löst. Aber ich weiß genau, wen ich anrufen müsste, um ein klareres Bild der Lage zu bekommen. Ich würde immer empfehlen, sich an den Hilfeersuchenden aus dem Land selbst zu orientieren, von Organisationen, die feministisch geleitet sind. Diese Menschen wären meine besten Berater*innen, wenn ich über Krieg und Frieden mitentscheiden müsste.
«Männer haben viel mehr Unrecht in diese Welt gebracht, einfach, weil sie es können.»
SPIEGEL: Deutschland mahnt außenpolitisch die Wahrung von Frauenrechten an, gerade im Politikbetrieb hapert es jedoch auch hier noch ganz schön mit der Gleichberechtigung.
Lunz: Das ist generell eine Katastrophe in Deutschland. Es ist nicht in Ordnung, wie die Macht im Berliner Politikbetrieb verteilt ist. Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Debatte um die Frauenquote in der CDU anschaut, ist das einfach nur höchstpeinlich.
SPIEGEL: Warum?
Lunz: Wir haben seit Jahrhunderten eine implizite Männerquote. Dabei ist die Fähigkeitsverteilung zwischen Männern und Frauen einfach gleich. Mit einem X-Chromosom oder einem Y-Chromosom kommt nicht mehr oder weniger Intelligenz. Wenn es dann aber eine Überrepräsentierung von Personengruppen gibt, dann bedeutet das, dass diese Gruppe seit Jahrhunderten Privilegien genießt, die ihr in einer gleichberechtigten Welt nicht zustehen. Wir haben also diese fürchterliche Männerquote, die dazu führt, dass es viele unqualifizierte Männer in Führungspositionen gibt. Das ist ein absolutes Drama.
SPIEGEL: Sind Frauen aus Ihrer Sicht die besseren Politiker?
Lunz: Historisch gesehen haben sie weniger Kriege geführt, weniger Morde veranlasst, weniger Gewalt verursacht. Aber nicht, weil sie biologisch die besseren Menschen sind, sondern weil sie weniger Möglichkeiten hatten, Kriege anzuzetteln und Menschen umbringen zu lassen. Männer haben viel mehr Unrecht in diese Welt gebracht, einfach, weil sie es können. Weil sie die Macht haben.
Source: spiegel.de
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