Die Menschen, die das Münchner Unternehmen InterNations in seinem Netzwerk versammeln will, sind alles andere als der repräsentative Durchschnitt der Bevölkerung. Das Start-up versucht, eine Art internationales Netzwerk akademisch gebildeter Menschen zu knüpfen, die als Expats fernab der Heimat leben. Die Gründer — sie kommen aus der Welt der Unternehmensberatung und des Reisejournalismus — haben dabei keine Armutsmigranten im Blick, sondern eher die Profiteure der Globalisierung: eher Designer als Dosenbefüller, eher Hochschullehrer als Hilfsarbeiter.
84 Prozent der Expats, die nun an der jüngsten Befragung von InterNations teilnahmen, besitzen einen Universitätsabschluss — es ist eine Elite. Sie leben als Ausländer über den Globus verteilt. Sie haben in der Regel gute Jobs und einen Lebensstandard, bei dem ihre Lebensqualität auch von Faktoren wie dem Grad der digitalen Vernetzung abhängt.
Wir sind Durchschnitt
Wenn es nur auf diesen einen Faktor ankäme, schnitte Deutschland als Gastland übrigens besonders schlecht ab: «Wie in der Steinzeit» lebe man in dieser Hinsicht hierzulande, äußerte ein Expat in der Befragung. Doch es summieren sich zahlreiche Faktoren zu einem Gesamtbild: Ganz besonders gute (Vorbildlich in der Bundesrepublik: Jobsicherheit! Verkehrsinfrastruktur! Gesundheitswesen! Schulsystem!), und ganz besonders enttäuschende. Unter dem Strich landet Deutschland deshalb nur auf Platz 33 – durchschnittlicher geht es kaum.
Doch was ist es neben mangelnder Kreditkartenakzeptanz, komplizierten Telefonverträgen, langsamen Internet und sonstigen Luxusproblemen, das uns so nach unten zieht?
Da sticht neben Kinderfeindlichkeit (drittschlechteste Bewertung nach Österreich und der Schweiz) vor allem ein Merkmal hervor, das uns nicht schmecken darf: In Sachen «Willkommenskultur» gegenüber Ausländern steht Deutschland auf Platz 60 von 64 erfassten Nationen. In kaum einem anderen Land der Welt ist es der Auswertung der Befragung zufolge so schwer, als Ausländer Anschluss oder sogar Freunde zu finden.
Land der Reservierten?
InterNations misst das in einem «Settling-in-Index» («Wie leicht ist es, im Land anzukommen?»), dessen einzelne abgefragte Faktoren «Sich zuhause fühlen» (Deutschland: Platz 56 von 64), «Freundlichkeit der Bewohner» (Platz 57), «Freunde finden» (Platz 59) und «Sprachbarriere» sind (Platz 59). Dass wir in allen Kategorien schlecht abschneiden, beschert uns im statistischen Schnitt die viertschlechteste Bewertung. In dieser Hinsicht sind wir dann allerdings auch wieder sehr zuverlässig: Bisher landete Deutschland in fünf der sechs durchgeführten jährlichen Befragungen auf einem der zehn schlechtesten Plätze.
Dass wir zu den weltoffensten, herzlichsten Menschen gehören, wird uns Deutschen ja selten vorgeworfen. Wir tun das noch nicht einmal selbst: Es gibt kaum eine Region im Lande, wo nicht behauptet wird, dass Freunde zu finden zwar schwierig sei, aber wenn es gelinge, dann auch fürs Leben halte usw. etc. … — wer selbst im Inland einmal mehr als hundert Kilometer weit umgezogen ist, kennt das.
Lügen wir uns da ein mentalitätsmäßiges oder kulturelles Defizit schön? Auffällig ist, dass in der — mit Sicherheit hochgradig unrepräsentativen, aber ein nicht unwichtiges gesellschaftliches Segment erfassenden — InterNations-Befragung diese Bewertungen ein mitteleuropäisch-nordisches Problem zu beschreiben scheinen: Der Großteil unserer unmittelbaren Nachbarschaft inklusive der skandinavischen Länder findet sich auf den 20 schlechtesten Plätzen. Sieht so aus, als erkälteten sich unsere Gäste an den kühleren Aspekten der europäischen Mentalität.
Man kann eine derart spezifische, auf eine spitze Zielgruppe ausgerichtete Befragung natürlich als unrepräsentativen Unsinn abtun. Man kann sie aber auch zum Anlass nehmen, sich selbst zu hinterfragen:
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Stimmt das so, können wir das nachvollziehen?
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Wenn wir uns vorstellen, als Fremder hierher zu kommen: Wie wäre das?
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Und wenn es so wäre wie geschildert, haben wir es dann in uns, weniger abwehrend oder distanziert zu sein?
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Oder ist das alles Unsinn, Deutschland ein offenes, freundliches Land mit höchst gastfreundlichen Menschen?
Egal, was man von solchen Befragungen ansonsten hält, tragen sie zumindest zur Selbstwahrnehmung bei. Der Selbsterkenntnis sagt man ja gute Effekte nach.
Source: spiegel.de
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