1. Zweifel säen, Wut züchten
«Eine große Blamage für die USA», befürchtet Donald Trump, wie er via Twitter kundtut. Wenig überraschend: Er meint nicht die eigene Leistung; es handelt sich nicht um einen Moment der Selbsterkenntnis. Vielmehr sät der Präsident, mal wieder, Zweifel an der Akkuratesse der Briefwahl, ohne Belege. So bereitet er schon jetzt vor, das Wahlergebnis im November nicht anerkennen zu müssen.
Denn voraussichtlich werden viele Amerikaner wegen der Pandemie per Brief ihre Stimme abgeben. Im selben Tweet bringt Trump eine Verschiebung des Wahltermins ins Spiel — wozu er allerdings nicht die Macht hat. Das kennt man sonst von Despoten: politische Gegner und die freie Presse als Volksfeinde brandmarken, den Wahlprozess in Zweifel ziehen, die Stimmabgabe verzögern.
Wie hilflos der Präsident drei Monate vor der Wahl agiert, kommentiert mein Kollege Ralf Neukirch, der gerade in Portland die Proteste und Polizeieinsätze beobachtet hat. «Solche Äußerungen Trumps verstärken die Panik in der republikanischen Führung«, schreibt Ralf. «Je näher die Wahl rückt, desto stärker dürfte sie versuchen, sich vom Präsidenten abzusetzen.»
2. Jugend ohne Vote
In der zehnten Klasse bekam ich einen Schnellkurs in Verfassungsrecht von meinem Mitschüler Benjamin, einem guten Freund. Er hatte Beschwerde eingereicht in Karlsruhe, mit 16 Jahren, weil er wählen dürfen wollte. «Nicht die Herabsetzung, sondern die Abschaffung des Wahlalters ist unser Ziel», solche Sätze sagte er.
Sein Argument lautete: «Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat.» So steht es im Grundgesetz. Deutlich weiter vorn (und durch die Ewigkeitsklausel als unveränderbar geschützt) steht aber auch: «Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.» Und zum Volk gehören nun mal auch Kinder und Jugendliche.
Die Diskussion über das Wahlalter ebbte nie ganz ab. In vier Bundesländern dürfen 16- und 17-Jährige mittlerweile bei Landtagswahlen abstimmen, in elf Ländern bei Kommunalwahlen. Jetzt fordert Bundesjugendministerin Giffey (SPD), das aktive Wahlrecht im Bund auf 16 abzusenken, Grünenchef Habeck und Linkenchefin Kipping unterstützen den Vorstoß.
Eine aktuelle Studie liefert nun neue Erkenntnisse. Forscher befragten 6699 15- bis 24-Jährige — und kommen zu dem Schluss: «Von einer geringeren Reife junger Menschen lässt sich nicht sprechen.» Das politische Interesse ähnelt sich extrem. Es hängt offenbar nicht vom Alter ab, nimmt nicht systematisch zu, wie mein Kollege Jonas Schaible berichtet.
Über den politischen Streit sagt Jonas: «Es wäre schon viel gewonnen, wenn nicht die einen unbelegt behaupten können, die Jugend sei politisch wie nie, und die anderen sagen, die Jugend sei nicht reif genug.» Er schätzt jedoch: «Ganz fair wird es aber nicht werden, eine Grenze wird bleiben.»
Mein Freund Benjamin hätte darauf wahrscheinlich geantwortet: Warum kann nicht jeder wählen, der will? Bei 18-Jährigen kontrolliert auch niemand die Reife. Seine Beschwerde scheiterte damals, die Karlsruher Richter nahmen sie aus formalen Gründen nicht an. Sie hätte binnen einem Jahr erhoben werden müssen, Benjamin kam über 40 Jahre zu spät.
3. Viel Geld geht vom Staate aus
Zu den weniger prominenten Institutionen hierzulande gehören die deutschen Wettbewerbs-Kontrolleure. Sie schützen uns Verbraucher vor Kartellen, Preisabsprachen und Monopolen, ihre Gegner sind die großen Konzerne und deren Verbündete in der Politik. «Sie haben eine wichtige Aufgabe, und doch gehören sie eher zu den leisen Stimmen im Land», sagt mein Kollege Michael Sauga aus unserem Hauptstadtbüro. Er hat jetzt mit Achim Wambach gesprochen, dem Chef der Monopolkommission, es ging um die Frage: Führt uns die Pandemie in die Staatswirtschaft?
«Es muss schon etwas sehr schieflaufen, damit sich jemand wie Wambach so deutlich äußert wie in unserem Interview«, sagt Michael. Zwei Beispiele:
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Die Entscheidung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier, den Impfstoffhersteller Curevac zu kaufen, kann Wambach nicht nachvollziehen: «Wenn der Wirtschaftsminister besondere Gründe hatte, sollte er sie mitteilen; ich kann sie nicht erkennen.» Die Entscheidung sei willkürlich und liefere ein schlechtes Signal an Start-up-Gründer.
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Wambach wendet sich auch gegen Altmaiers Vorschlag, nationale oder europäische Industriechampions zu schaffen. «Mir bereitet diese nationale Welle in der Wirtschaftspolitik Sorgen», sagt er. Die Vorteile lägen stattdessen «in Weltoffenheit, grenzüberschreitenden Investitionen und globalem Handel».
Auch in der Pandemie wandelt sich der Staat nicht plötzlich zum besseren Unternehmer, das ist der Kern dieses Gesprächs. Er fürchte jedoch, «dass die Eingriffe zum Dauerzustand werden», sagt Wambach.
Heute veröffentlichte Zahlen zeigen: Die deutsche Wirtschaft ist wegen der Pandemie auch im zweiten Quartal im Rekordtempo geschrumpft, noch stärker, als von Ökonomen befürchtet. Und auch die amerikanische Wirtschaft hat einen historischen Konjunktureinbruch erlitten.
Was heute sonst noch wichtig ist
SPIEGEL Update – Die Nachrichten
Meine Lieblingsgeschichte heute: Der stille Kaiser
Der japanische Tenno hat viele Pflichten: Er ernennt nicht nur Minister, empfängt Staatsgäste oder drückt sein Siegel unter Gesetze. In privater Funktion ist er auch eine Art Oberpriester des Schinto-Kultes, der heimischen Naturreligion. Und einmal im Jahr pflanzt er Reis, das Ritual hat das japanische Fernsehen im Frühjahr in Ausschnitten übertragen, ohne Ton, wie Wieland Wagner berichtet. Im Herbst opfert Kaiser Naruhito die Ernte dann seinen Ahnen.
«Es erscheint derzeit zweifelhaft, ob die Japaner bis dahin viel mehr von ihrem Monarchen sehen oder hören werden», schreibt Wieland Wagner. «Anders als sein Vater, der bürgernahe und beliebte Kaiser Akihito, der mit 85 Jahren abdankte, überrascht Naruhito seine Landsleute bisher oft durch Schweigen.» Dabei sehnen sich viele Japaner nach Zuspruch von oben: Die Coronakrise verunsichert die alternde Nation, dazu kommt die Not nach verheerenden Überschwemmungen. Bislang sehnen sie sich vergeblich.
Die Stille ist ganz im Sinne des nationalistischen Premiers Shinzo Abe, der sich «gern wie ein höfischer Zeremonienmeister in den Vordergrund» spielt. Von dem sich jedoch viele im Stich gelassen fühlen — die Bürokratie arbeitet schwerfällig, versprochene Hilfszahlungen verzögern sich, Skandale schütteln Abes Regierung.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Was heute nicht so wichtig ist
Madonna et mobile
Foto: Mario Anzuoni/REUTERS
Video killed Radiostar: In den Reigen Prominenter mit merkwürdigem Social-Media-Verhalten reiht sich Madonna, 61, ein. Bei Instagram teilte sie ein Filmchen mit ihren 15,4 Millionen Followern, in dem eine umstrittene Ärztin das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin als Wundermittel gegen Coronaviren preist. Ein Impfstoff werde geheim gehalten, «damit die Reichen reicher und die Armen und Kranken kränker werden». Die Plattform löschte den Clip, Mutterkonzern Facebook teilte mit, er stelle «falsche Behauptungen über Covid-19 auf».
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: «Sie forderte die Bürger auf, dringend die Hygie- und Abstandsregeln einzuhalten»
Cartoon des Tages: Ganz großes Mitgefühl
Foto:
plassmann
Und heute Abend?
Donnerstag ist Kinotag, das galt vor Corona, das gilt jetzt so langsam wieder: Filme laufen an, viele Kinos haben wieder geöffnet. Meine Kollegin Hannah Pilarczyk aus dem Kulturressort empfiehlt die erstaunlich tiefgründige Tragikomödie «The King of Staten Island» mit Comedystar Pete Davidson.
Pete wer? Davidson ist einer der Stars im Ensemble von «Saturday Night Live», die bereits Comedylegenden wie Steve Martin, Eddie Murphy und Tina Fey hervorgebracht hat. «Wer ihn nicht von daher kennt, hat womöglich auf Promi-Blogs etwas über ihn gelesen», so Hannah: Er war Kurzzeitverlobter von Pop-Superstar Ariana Grande und Freund der deutlich älteren Schauspielerin Kate Beckinsale.
Nicht Harley, sondern Pete
Foto: Mary Cybulski/ dpa
In diesem Sinne: erst Lichtspielhaus, dann Licht aus.
Bis morgen. Herzlich,
Ihr Oliver Trenkamp
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Source: spiegel.de
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