Wie kann es sein, dass Manuel Neuer, der Kapitän der beiden wichtigsten Mannschaften des deutschen Fußballs, in seinem Urlaub ein Lied einer rechts-patriotischen kroatischen Rock-Band mitsingt? Eine Band, gegen die die Schweiz 2009 wegen der Verherrlichung kroatischer Faschisten ein Einreiseverbot verhängte. Eine Band, gegen die die kroatische Staatsanwaltschaft 2003 wegen Volksverhetzung ermittelte. Eine Band, deren Frontsänger mit Symbolen des faschistischen Ustascha-Regimes operiert.
Vom deutschen Nationaltorwart und Schlussmann des FC Bayern ist am Sonntagabend ein Video aufgetaucht. Es zeigt Neuer an einer Strandbar in Kroatien. Neben ihm Männer im T-Shirt oder oben ohne. Ganz außen am Bildrand erkennt man Neuers Torwarttrainer beim FC Bayern, Toni Tapalovic. Er war auch Neuers Trauzeuge. Neuer selbst steht mittig. Ein Akkordeonspieler spielt ein Lied, Neuer und die Männer singen laut mit.
«Lijeba li si», «Du bist schön», heißt der Song der Band Thompson. «Wenn ich mich erinnere, kommen mir die Tränen. Jedes Stück der Heimat und der völkischen Bräuche», heißt es darin. Neuer ist erstaunlich textsicher. Aber der Inhalt mindestens einer Zeile sowie der Urheber des Songs sind politisch äußerst heikel.
Seit 2016 offizieller Song der kroatischen Nationalelf
«Das Lied, das Neuer singt, ist ein national-patriotisch aufgeladenes Lied», sagt Dario Brentin dem SPIEGEL. Der 35-Jährige ist Sozialwissenschaftler an der Universität Graz und forscht über nationale Identitäten und Sport im post-jugoslawischen Kroatien. Brentin sagt, der Fall Neuer sei kompliziert, weil der Song und die Band Thompson einerseits zwar sehr problematisch seien, aber in der kroatischen Gesellschaft andererseits wenig problematisiert werden.
Zunächst zum Lied: «Problematisch ist es vor allem wegen einer Zeile: ‘Herceg Bosna stolzes Herz'», sagt Brentin. «Das kann man als eine Infragestellung der Staatlichkeit Bosnien-Herzegowinas verstehen und als eine Verherrlichung der kroatischen Expansions-Bemühungen in den Neunzigerjahren.» Die Kroatische Republik Herceg-Bosna war während des Jugoslawienkrieges Schauplatz von Massakern an der Zivilbevölkerung, ethnischen Säuberungen und Plünderungen. Vom Internationalen Strafgerichtshof wurden kroatische Militärs sowie Mitglieder der politischen Führung wegen Kriegsverbrechen verurteilt.
Doch der Song hat noch einen anderen Hintergrund: «Es gibt eine klare Verschmelzung des Liedes mit der Fankultur rund um die kroatische Nationalmannschaft. Seit 2016 ist es auch das offizielle Lied der Nationalelf, das immer bei Spielen gespielt wird», sagt Brentin. «Lijeba li si» ist für den Vizeweltmeister also das, was «Schwarz und Weiß» von Oliver Pocher bis 2019 für die deutsche Nationalelf war. Eine signifikante Debatte über die Zulässigkeit dessen habe es in der kroatischen Gesellschaft nicht gegeben, sagt Brentin.
Hymne für eine rechtsextreme Partei
Dabei ist die Sachlage bei der Band Thompson ziemlich klar. Benannt ist sie nach dem Spitznamen des Frontsängers Marko Perkovic und rekurriert auf die gleichnamige Maschinenpistole, die Perkovic selbst im Jugoslawienkrieg benutzt haben soll. Perkovic sage zwar, er habe der faschistischen Ideologie abgeschworen, «aber es gibt Zitate und Fotos vor allem aus den Neunzigerjahren, die ihn unter anderem mit Hitlergruß und anderen faschistischen Symbolen im Ustascha-Kontext zeigen», sagt Brentin.
Die kroatische Unabhängigkeitsbewegung Ustascha war 1941 mithilfe der Achsenmächte Deutschland und Italien in einem neu gegründeten Staat Kroatien an die Macht gelangt — und hatte sich im Zweiten Weltkrieg zügig darangemacht, einen Genozid an Juden, Serben und Roma ins Werk zu setzen.
2003 soll Perkovic das Ustascha-Lied «Jasenovac i Gradiska Stara» auf einer Hochzeit gesungen haben. «Davon gibt es einen Audio-Mitschnitt. «Thompson behauptet heute, es sei ein Audio-Fake», sagt Brentin. Dass er dem Nationalismus zugetan ist, zeigt sich auch daran, dass Thompson der rechtsextremen Kroatischen Partei des Rechts (HSP) einst eine Hymne schrieb.
Kontroverser als sein Lied «Lijeba li si» werde in Kroatien der «Thompson»-Song «Bojna Cavoglave» diskutiert, sagt Brentin. Er beginnt mit der Zeile «Za dom — spremni» («Für die Heimat bereit») — dem Gruß des faschistischen Ustascha-Regimes. In Kroatien haben sich Gerichte damit auseinander gesetzt, aber es gibt weiterhin keinen juristischen Konsens: «Einerseits ist der Gruß vom kroatischen Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig eingestuft worden. Anderseits wurde Thompson auf anderen Ebenen für das Singen des Grußes auch schon freigesprochen», sagt Brentin.
Auch hier gibt es einen Bezug zum kroatischen Fußball: Bei der WM 2018 sangen Spieler der kroatischen Nationalmannschaft den ultra-nationalistischen Song «Bojna Cavoglave» von Thompson nach dem Sieg gegen Argentinien in der Kabine. Perkovic nahm sogar an der Fahrt im offenen Bus der Nationalmannschaft durch Zagreb teil, nachdem diese als Vizeweltmeister heimgekehrt war. Danach gab es international viel Kritik.
Am Umgang mit Thompson scheint sich zu zeigen, dass sich die kroatische Gesellschaft immer noch schwer tut mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Verbrechen. Thompson selbst habe mittlerweile eine 30 Jahre lange Tradition in der kroatischen Popkultur, sagt Brentin. Er sei einer der kommerziell erfolgreichsten Künstler im Land und werde selten kritisch gesehen. Dabei gibt es weiterhin allen Grund dazu.
«Bei Thompson ist heutzutage wenig richtig eindeutig. Er spielt mit Symbolik. Aber er ist ganz klar dem rechts-nationalistischen Spektrum zuzuordnen», so der Wissenschaftler. Der kroatischstämmige Journalist Danijel Majic etwa weist bei Twitter auf Folgendes hin:
Der 10. April ist der Jahrestag der Machtübernahme der Ustascha 1941.
In dieses Dickicht der rechten Symbole inmitten von Folklore hat sich Manuel Neuer begeben, als er den Thompson-Song laut in seinem Kroatien-Urlaub mitsang. Gegenüber der «Bild» wollte sich Neuers Management nicht zu dem Fall äußern, verwies aber darauf, dass der Nationaltorwart kein Kroatisch spreche.
In seiner Karriere ist Neuer bisher nicht als Mensch mit einer rechten Gesinnung aufgefallen. Und trotzdem wirft der Fall jetzt ein schlechtes Licht auf ihn und den deutschen Fußball, den er als Kapitän vertritt. Der DFB engagiert sich (unter anderem mit dem eigenen Julius-Hirsch-Preis) gegen Antisemitismus. Neuer hat jetzt den Song eines Sängers mitgesungen, der Symbole einer Gruppe benutzt, die im Zweiten Weltkrieg Juden ermordet hat.
Bisher war Neuer stets eher vorsichtig, wenn es darum ging, sich politisch zu positionieren. Als 2018 in Chemnitz mehrere Künstler das Konzert «Wir sind mehr» initiierten, um gegen Rassismus zu protestieren, begrüßte das Neuer.
Nach dem Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalelf samt Rassismus-Vorwürfen gegen den DFB sagte Neuer: Es gehe auch darum, «wieder die Spieler da zu haben, die auch wirklich stolz sind, für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen, und alles dafür geben, für das eigene Land zu spielen, damit man wieder in die Erfolgsspur kommt». Das implizierte, dass Özil nicht stolz war, für Deutschland zu spielen.
Das Foto, das Özil damals mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan machte, wurde zum großen Skandal in Deutschland. Noch ist unklar, was aus Neuers Mitsingen in Kroatien wird.
Der DFB wollte sich auf SPIEGEL-Anfrage nicht zu dem Fall äußern.
Source: spiegel.de


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