Die Tränen, sagt Tobias Devooght, liefen in dem Moment, als ihre Tochter zum ersten Mal schrie. Sie war zwei Monate zu früh, wog 1300 Gramm und durch ihre Haut schimmerten die Venen. Tobias und sein Mann Dennis Devooght weinten vor Freude und Erleichterung. Sie hatten nicht gewusst, ob ihr Kind die Geburt überleben würde.
Die Ärzte des kalifornischen US-Militärkrankenhauses, in dem das Mädchen namens Summer am 1. August 2019 um kurz nach ein Uhr morgen zur Welt kam, steckten sie sofort in einen transparenten Plastikbeutel, der ihre noch viel zu dünne Haut vor Unterkühlung schützen sollte. Sie schlossen sie an ein Beatmungsgerät an und nahmen sie mit auf die Intensivstation für Frühchen. So erinnert sich Tobias Devooght heute.
Zurück blieben die Leihmutter und ihr Partner — und zwei Männer, einer aus Disternich bei Zülpich und einer aus Nitz in der Eifel, die gerade Eltern geworden waren. «Das war ein richtig gutes Gefühl», sagt Dennis Devooght.
Der 40-Jährige wuchs in einer Zeit auf, in der sich schwule Männer noch strafbar machten, wenn sie miteinander Sex hatten: Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches, in dem das festgeschrieben war, galt bis 1994. «Ich hatte mir immer eine Familie gewünscht», sagt der Geschäftsführer eines Familienbetriebs, der pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel herstellt und vertreibt. «Doch dass ich selbst tatsächlich eine gründen könnte, erschien mir damals unmöglich.»
Foto: Heike Klovert/ Der Spiegel
Dann lernte er Tobias kennen. Der ehemalige Hochleistungstänzer, 31, kannte diese Hemmungen nicht. Er begann, sich zu informieren, und im Herbst 2016 stand für beide fest: Sie wollten in Kalifornien eine Eizellspenderin und eine Leihmutter suchen. Beides wird dort separat gehalten, damit sich die Leihmutter leichter von dem Säugling trennen kann.
Wenn ein Mann und eine Frau aus Liebe gemeinsam ein Kind großziehen wollen, gilt das weltweit als natürlich. Doch was ist, wenn zwei Männer denselben Wunsch haben? Finden sie eine oder auch zwei Frauen, die ihnen diesen Wunsch erfüllen? Und wie gehen sie mit den moralischen Fragen um, die sich dann stellen: Ist es okay, ein Kind zu «kaufen»? Und kann es auch ohne Mutter gut aufwachsen?
Einige politische und soziale Entwicklungen haben es Männern in den vergangenen Jahren leichter gemacht, gemeinsam eine Familie zu gründen. Eine Leihmutterschaft ist zwar hierzulande weiterhin verboten. Doch 2014 entschied der Bundesgerichtshof, zwei schwule Männer als rechtliche Eltern ihres von einer US-Leihmutter geborenen Kindes anzuerkennen.
Auch andere Modelle der Elternschaft sind in den vergangenen Jahren bekannter geworden, zum Beispiel das Co-Parenting. Dafür schließen sich Erwachsene gezielt zusammen, um ein Kind zu zeugen und aufzuziehen. Sie finden sich in ihren Freundeskreisen oder auch über das Internetportal familyship.org. Dort sind derzeit 923 Väter registriert, die aktiv nach einer Mutter für ihr ungeborenes Kind suchen. 408 von ihnen bezeichnen sich selbst als schwul.
«Wenn es um Regenbogenfamilien ging, berichteten die Medien früher meist von zwei lesbischen Frauen — und der Vater tauchte höchstens als verhuschter Samenspender auf», sagt der Historiker Alexander Schug, der an einem Buch über Männer mit Kinderwunsch mitgeschrieben hat, das am 17. Juli erscheint. «Doch seit etwa fünf Jahren beobachte ich, dass Regenbogenväter stärker einfordern, Verantwortung für ihre Kinder übernehmen zu können.»
Ein Problem daran: Eine sogenannte Mehrelternschaft ist in Deutschland nicht möglich. Wenn also ein lesbisches Paar und ein schwuler Mann gemeinsam für ein Kind sorgen wollen, müssen sie entscheiden, wer das Sorgerecht bekommen soll. «Ich kenne zunehmend Fälle, in denen Väter das Sorge- und Umgangsrecht wahrnehmen», sagt Schug. «Doch damit ist die Partnerin der Mutter rechtlich gesehen außen vor. Wenn der Vater ihr die Adoption erlaubt, tritt er hingegen alle elterlichen Rechte ab. Dieses Dilemma lässt sich nur mit einer Mehrelternschaft auflösen.»
Sie wollten Eltern sein, ganz und gar und ungeteilt
Dass lesbische Paare mit Kinderwunsch eine viel stärkere politische Lobby haben als schwule Männer, zeigt sich auch gerade an der Debatte ums da geplante Adoptionshilfegesetz. Der Bundesrat stimmte Anfang Juli gegen das Gesetz, weil es die zweite Mutter dazu verpflichtet hätte, sich beraten zu lassen, bevor sie das Kind ihrer Partnerin adoptieren kann. Linke und Grüne sehen darin eine Diskriminierung lesbischer Frauen. Die Bedürfnisse des Mannes, der das Kind gezeugt hat, spielen in der Debatte so gut wie keine Rolle.
Für Dennis und Tobias Devooght kam Co-Parenting nicht infrage. Sie wollten Eltern sein, ganz und gar und ungeteilt. Inzwischen ist ihre Tochter Summer ein Jahr alt. In einem Kölner Café sitzt sie auf Tobias’ Schoss, er füttert sie mit Mittagsbrei, Apfel und Getreide, selbstgekocht. Eben hat sie in Tobias’ Armbeuge geschlafen, jetzt schaut sie aufmerksam umher und lächelt ihr noch fast zahnloses Kleinkindlächeln.
«Beim Arzt, auf Reisen und auch sonst hören wir oft die Frage: Wo ist denn die Mutter?», sagt Dennis Devooght. «Viele Menschen können sich einfach nicht vorstellen, dass zwei Männer allein ein Kind großziehen. Doch wenn wir sie dann aufklären, ist es für die allermeisten völlig in Ordnung.» Offene Ausgrenzung und Ablehnung haben sie bisher, so sagen sie, noch nicht erlebt.
Weil Summer seine leibliche Tochter und er somit eindeutig der Vater ist, hat das Amt Dennis auf der Geburtsurkunde als Vater — und Tobias als «Mutter» — eingetragen. Die beiden US-Amerikanerinnen, die die Eizelle gespendet und das Kind ausgetragen haben, haben keinerlei Anspruch auf ihre Tochter. Das haben Dennis und Tobias Devooght vertraglich geregelt.
Monatelang studierten sie Profile von Spenderinnen
Sie haben in den Verträgen auch festschreiben lassen, dass Summer ihre leibliche Mutter kennenlernen darf, wenn sie älter ist. Auch zur Leihmutter wollen sie Kontakt halten. «Wir wollen offen mit Summer darüber sprechen, wie sie gezeugt wurde», sagt Dennis Devooght. «Und wenn sie das möchte, fliegen wir mit ihr rüber und besuchen ihre Mutter.»
Es fiel den beiden zukünftigen Vätern nicht leicht, sich für eine Frau zu entscheiden, die ihre Eizellen spenden sollte. Monatelang beugten sie sich über Hunderte Profile von Frauen. Sie studierten deren Fotos und medizinischen Parameter, deren Interessen und Bildungshintergrund, mögliche Erbkrankheiten und Fruchtbarkeitswerte.
Es hat sie mehr als 150.000 Dollar und drei Jahre Zeit gekostet, um auf diesem Weg ein Kind zu bekommen. Sie haben dafür einen Kredit aufgenommen. Tobias hat seinen früheren Job aufgegeben und angefangen, in der Firma seines Mannes zu arbeiten, damit er flexibler freinehmen kann. Sie haben beschlossen, das Haus, das sie gerade bauen, kleiner und günstiger zu halten.
«Man muss es schon wollen», sagt Dennis Devooght. Und man muss es sich leisten können. Tobias Devooght engagiert sich in einem Verein, der die Leihmutterschaft auch in Deutschland legalisiert haben will. «Dann könnte die deutsche Politik eigene Spielregeln aufstellen und dafür sorgen, dass es nicht so stark vom Einkommen abhängt, ob schwule Männer Kinder haben können», sagt er.
Kann die väterliche Liebe reichen? Oder braucht Summer doch eine Mutter?
Beide sprechen sehr ruhig und reflektiert über die moralischen und ethischen Fragen, die das Thema aufwirft. Dennis’ Eltern seien sehr traditionsbewusst und Tobias’ Eltern sehr gläubig, erzählen sie. Die katholische Kirche lehnt Leihmutterschaft strikt ab. «Doch unsere Eltern haben gesehen, wie wir an die Sache herangegangen sind und unterstützen uns jetzt sehr», sagt Tobias. Auch er selbst ist noch in der Kirche, austreten will er nicht. «Das ist mein Glaube, ich bin mit ihm aufgewachsen», sagt er.
Aber kann die väterliche Liebe und Fürsorge reichen? Oder braucht Summer doch eine Mutter? Die Forschungsergebnisse dazu sind eindeutig: «Ob ein Kind eine sichere Bindung aufbauen kann, hängt allein davon ab, wie feinfühlig die Eltern auf seine Bedürfnisse eingehen», sagt Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik, die zu dem Thema forscht. «Wissenschaftler sind sich weltweit einig, dass das Geschlecht der Bezugsperson dafür keinerlei Rolle spiele. Väter sind nicht per se weniger feinfühlig als Mütter.»
So hätten gleichgeschlechtliche Eltern den klassischen Vater-Mutter-Kind-Familien sogar etwas voraus: «Sie haben sich meist sehr bewusst für das Kind entschieden und gehen deshalb häufig noch reflektierter mit ihrer Verantwortung um», sagt Becker-Stoll. «Kinder entwickeln sich in diesen Familien deshalb eher besser.»
Dennis und Tobias Devooght kennen die Vorurteile, die Männern — egal ob schwul oder heterosexuell — oft entgegenschlagen. «Ich habe vor Kurzem eine Doku gesehen, in der es darum ging, ob Väter nachts wach werden, wenn ihr Kind weint», sagt Tobias. «Natürlich wachen wir auf! Und der, der sich in dieser Nacht nicht kümmert, schläft sofort wieder ein.»
Und wenn Summer später über Themen wie ihre Menstruation oder ihre erste große Liebe lieber mit einer Frau sprechen möchte? «Wir sorgen dafür, dass sie auch mit weiblichen Bezugspersonen wie einer Patentante aufwächst», sagt Dennis.
«Wir sind so froh und dankbar, dass sie bei uns ist»
Die beiden haben gegenüber traditioneller aufgestellten Eltern noch einen Vorteil: Sie können frei ausloten, wie sie Haushalt und Kindererziehung aufteilen wollen. Vorgefertigte Rollenbilder von überfürsorglichen Müttern und arbeitenden Vätern gelten für sie nicht. Gerade macht Tobias Teilzeit, damit Dennis weiter seine Firma führen kann.
Liebevoll zieht er Summer die rosafarbene Kapuze auf, die der Wind ihr vom Kopf geweht hat, und hebt während des Gesprächs zwischendurch einzelne Socken auf, um sie wieder über ihre Füßchen zu stülpen. Ermüdend oder einseitig finde er das Wickeln, Füttern und Bespaßen nicht, sagt der 31-Jährige. «Wir sind so froh und dankbar, dass sie bei uns ist und sich gesund entwickelt.»
In einer Kinderwunschklinik in Kalifornien liegt — befruchtet und eingefroren — noch ein knappes Dutzend weiterer Eizellen der Spenderin, mit deren Auswahl sie sich vor drei Jahren so schwertaten. Wenn alles klappt, soll die neue Leihmutter noch dieses Jahr mit dem zweiten Kind schwanger werden. Diesmal wird Tobias der leibliche Vater sein.
Source: spiegel.de
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