Heilsversprechen gegen Covid-19 gibt es seit Bekanntwerden der Virusinfektion Anfang des Jahres so einige, doch kaum eines stellte sich bisher als wirksam heraus. Wohl eine der spektakulärsten Entzauberungen: Kürzlich blieben die USA auf 66 Millionen Malariatabletten sitzen, weil die Weltgesundheitsorganisation und die US-Gesundheitsbehörden den Wirkstoff Hydroxychloroquin nicht nur als unwirksam, sondern sogar gefährlich für Covid-19-Patienten einstuften. US-Präsident Donald Trump hatte ihn zuvor als Wundermittel gepriesen.
Nun wartet ein renommiertes deutsches Forschungsinstitut, das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, mit einem weiteren, ungewöhnlichen Therapieansatz auf: Zusammen mit der Freien Universität Berlin haben die Wissenschaftler in Laboratorien getestet, ob Extrakte von speziell gezüchteten Beifußpflanzen — sogenanntes Artemisinin — gegen das neue Coronavirus wirksam sind. Seit Längerem wird der Wirkstoff bereits gegen Malaria eingesetzt.
Tea-Time im Krankenhaus
«Dass Beifußpflanzen gegen viele verschiedene Krankheiten wirken, einschließlich einer Reihe von Viren wie Hepatitis und Herpes, war uns bekannt», sagte Studienautor Peter H. Seeberger in einer Pressekonferenz Ende Juni. Ausgehend davon hätten Labortests gezeigt, dass diese Beifuß-Extrakte auch gegen das Coronavirus — zumindest in der Petrischale — «antivirale Aktivitäten» zeigten.
«Überraschenderweise konnte dieser Effekt durch Kaffee sogar noch gesteigert werden», erklärte Seeberger. Es habe einen «moderaten antiviralen Effekt» gegeben, der beim Test fast so hoch wie beim bislang vielversprechendsten Mittel zur Corona-Behandlung, Remdesivir, gewesen sei.
Remdesevir wurde vergangene Woche in Europa zugelassen. Mit dem Covid-19-Medikament sollen erwachsene Patienten behandelt werden, die unter einer Lungenentzündung leiden und mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt werden müssen.
Der Einjährige Beifuß, aus dessen Extrakten nun das neue Medikament entstehen soll, kommt eigentlich aus der traditionellen chinesischen Medizin. Die chinesische Pharmakologin Tu Youyou entdeckte in den Siebzigerjahren, dass der Wirkstoff Artemisinin auch gegen Malaria hilft. Dafür bekam Tu Youyou 2015 sogar den Nobelpreis für Medizin.
Doch der Beifuß-Extrakt hilft nicht in jeder Form gegen Malaria. Die Weltgesundheitsorganisation rät von Beifuß-Tees, so wie sie Seeberger empfiehlt, als Malariamittel ab. Die Dosis in den Tees sei zu niedrig, um die Erreger komplett abzutöten. Es bestehe deshalb die Gefahr eines Rückfalls, hieß es in einer Stellungnahme vom vergangenen Jahr. Auch Seeberger selbst wies bereits darauf hin, seine Tees nicht als Malariamedikament einzunehmen.
In afrikanischen Ländern wie Madagaskar, wo Beifuß schon lange als Malariamittel bekannt ist, kursiert bereits ein Kräutergemisch namens Covid Organics, in dem auch Beifuß enthalten sein soll. Seeberger habe bisher jedoch nichts Genaueres über die Rezeptur in Erfahrung bringen können. Die WHO warnte auch vor der Einnahme von Covid Organics, bevor die Studien nicht abgeschlossen sind.
Seebergers Studie zu Beifuß und Covid-19 ist zwar noch nicht in einem Fachmagazin veröffentlicht, aber — wie üblich in Corona-Zeiten — nun soll alles ganz schnell gehen. Zunächst will man an der University of Kentucky das neue Wundermittel an Menschen testen und so zu ersten klinischen Studien kommen. Dort wollen die Forscher den Patienten spezielle Tees und Kaffees verabreichen, die den Pflanzenwirkstoff enthalten. Partner der University of Kentucky ist auch die Firma Artemi Life.
Interessenkonflikt oder wissenschaftlicher Alltag?
Das Unternehmen Artemi Life vertreibt «Artemi-Tea» und «Artemi-Cafe» in den USA. Eine Packung mit 30 Teebeuteln des beifußhaltigen Getränks kosten immerhin 40 Dollar, beifußhaltige Kaffeepäckchen sogar 50 Dollar. Sollte sich nun herausstellen, dass die Produkte wundersamerweise auch gegen Covid-19 helfen, könnte das Geschäft extrem beflügelt werden.
Seeberger und ein weiterer Forscher des Projekts hielten allerdings Anteile an der US-amerikanischen Teefirma Artemi Life. Das berichtete die «Süddeutsche Zeitung». Während Peter Seeberger neben seiner Funktion als Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung an der Firma Artemi-Life beteiligt sei, arbeite wiederum auch der Direktor von Artemi-Life, Kerry Gilmore, beim Max-Planck-Institut in einer Arbeitsgruppe. Das sei zumindest «pikant», so die «SZ» und eine klare «Verquickung von Wissenschaft und privatwirtschaftlichen Interessen».
Die «Süddeutsche Zeitung» habe «den Sachverhalt völlig falsch darstellt» und «in böswilligster Weise» an seiner «Integrität gesägt», verteidigt sich Peter Seeberger auf Anfrage des SPIEGEL. Die US-Firma sei ursprünglich 2012 von der Max-Planck-Gesellschaft «ausgegründet» worden, um ein kostengünstiges Malariamedikament herzustellen.
Da das Geschäft mit den Malariamedikamenten nicht wie erwartet lief, hätte man die Firma in den USA angesiedelt. Die Tees würden dort als «Nahrungsergänzungsmittel» vertrieben. Dort gäbe es außerdem «Interesse am Einsatz von Beifuß-Extrakten zur Krebsbehandlung», erklärt Seeberger. Auch die Potsdamer Mutterfirma Artemi Flow, an der Seeberger direkt beteiligt ist, forscht an dem medikamentösen Wirkstoff Artemisinin aus dem einjährigen Beifuß für die Krebsbehandlung — dafür hat sie ordnungsgemäß Lizenzen von der Max-Planck-Gesellschaft erworben, schreibt Seeberger.
Die Idee zur Anwendung bei Covid-19 sei tatsächlich von der Firma Artemi Life gekommen, gibt Seeberger zu. «Aber wenn die Artemi Life erfolgreich ist, dann profitiert auch die Max-Planck-Gesellschaft», verteidigt er sich.
«Interessenkonflikte müssen bei publikumswirksamen Pressemitteilungen erwähnt werden.»
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) stellt sich auf Anfrage des SPIEGEL hinter ihren Mitarbeiter. «Zur Überführung dieser Forschungsergebnisse in den industriellen Bereich betreibt sie (die MPG) einen aktiven Technologietransfer», heißt es auf Nachfrage des SPIEGEL. «Die MPG ermöglicht Firmenausgründungen mit und ohne MPG-Beteiligung.» Die Gründung der Artemi Life des deshalb nichts Ungewöhnliches. «Das Vorgehen von Herrn Professor Seeberger entspricht den Technologietransfer-Leitlinien der Max-Planck-Gesellschaft», heißt es in der Stellungnahme. In den Leitlinien regelt die Forschungsgesellschaft, wie mit Beraterverträgen ihrer Mitarbeiter, Firmenausgründungen oder Industriekooperationen umgegangen wird.
Einen Verstoß oder Interessenkonflikt, wie von der «Süddeutschen Zeitung» formuliert, gebe es schlicht nicht. Allerdings räumt auch die MPG ein, dass das «Spannungsverhältnis» zwischen Gemeinwohl und den ökonomischen Interessen von Fall zu Fall «sachgerecht aufgelöst» werden müsse. In diesem Fall sei die MPG über eine Erlösbeteiligung an dem Teeversand beteiligt — und es gebe sogar einen Lizenzvertrag zwischen der MPG und dem Unternehmen. Die Unternehmer — auch wenn es die eigenen Forscher sind — können die Forschungsergebnisse der MPG demnach nur gegen Gebühren und auch nur zeitlich begrenzt nutzen.
«Gegen eine Zusammenarbeit und Mitfinanzierung von Unternehmen bei Forschungsaufträgen an öffentliche Einrichtungen ist grundsätzlich nichts einzuwenden», findet Christopher Bohlens von Transparency International. Allerdings müssten die Verträge und die Interessenkonflikte offengelegt werden. Jedoch hätten die Forscher um Peter Seeberger ihre Beteiligung an den Firmen nicht transparent genug gemacht. «Interessenkonflikte müssen bei publikumswirksamen Pressemitteilungen erwähnt werden, da nicht jeder in den entsprechenden Fachartikel schaut», so Bohlens.
Source: spiegel.de
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