Von Markus Becker, Jürgen Dahlkamp, Markus Dettmer, Jörg Diehl, Lukas Eberle, Michael Fröhlingsdorf, Kristina Gnirke, Florian Gontek, Hubert Gude, Claus Hecking, Julia Amalia Heyer, Nils Klawitter, Gunther Latsch, Catalin Prisacariu, Gerald Traufetter und Markus Verbeet
Beckum im Münsterland, ein weiß verputztes Einfamilienhaus. Eines dieser Häuser, die kein Zuhause sind. Nur eine Unterkunft. Wie so viele hier in der Gegend. Ein Schlafplatz bis zur nächsten Schicht, bis zum nächsten Knochenjob.
Und jetzt ein Gefängnis.
Das Stahltor zum Hof ist verriegelt, keiner darf raus. Die Rumänen, die hier leben, hinter grauen Rollläden und vergitterten Souterrainfenstern, stehen unter Quarantäne. Sie arbeiten in Rheda-Wiedenbrück, in der größten deutschen Fleischfabrik, bei Tönnies. Arme Schweine, die arme Schweine zerlegen.
Ein paar Männer liegen am Dienstag dieser Woche draußen auf Decken, trinken Bier gegen die Langeweile, die Nutzlosigkeit und die Sorgen. Wie soll es nun weitergehen? Sie seien 15 Mann im Haus gewesen, sagt einer, der sich George nennt, fünf seien infiziert. «Drei wurden abgeholt und in andere Pensionen gebracht, zwei sind noch hier.»
Wie das geht, unter einem Dach? «Ja, wir haben Angst, uns anzustecken», sagt George. «Ich habe die Polizei angerufen, die kam und sagte: Wir können euch nicht helfen.» Also hätten sie jetzt die beiden Infizierten isoliert, jeder in einem Zimmer. Vor vier Tagen sei er zuletzt getestet worden. Keine Ahnung, ob er positiv sei, er warte noch auf das Ergebnis, so George.
Wenn die Männer nicht gerade unter Quarantäne stehen, wenn sie funktionieren, wie sie funktionieren sollen, dann zerlegen sie und die anderen Werkvertragsarbeiter Zehntausende Schweine am Tag. Dafür sind sie hier, nur dafür. Sie sind erstklassige Werkzeuge der Fleischindustrie, werden aber behandelt wie Menschen zweiter Klasse. Angeheuert von Subunternehmern, schlecht bezahlt, schnell ersetzt, schwach geschützt. Auch in Corona-Zeiten.
In den vergangenen Wochen, erzählt George, habe man im Schlachthof ein Fiebermessgerät aufgebaut, gleich neben dem Eingang. Aber keiner da, der es bedient hätte. Jeden Morgen seien sie «einfach daran vorbeigelaufen». Nur kein Störfall, schien die Devise zu sein. Erst zwei Tage bevor alle in Quarantäne mussten, als klar war, dass sich bei Tönnies der größte Corona-Ausbruch seit dem Lockdown in ganz Europa zusammenbraute, habe die Firma Mitarbeiter zum Fiebermessen abgestellt. «Da war es schon zu spät», sagt George.
Source: spiegel.de
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