Wenn die Kanzlerin sich mit einer bewegenden Rede an die ganze Nation richtet, und es ist nicht gerade Neujahr, dann muss es wirklich schlimm sein. «Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst», sagte Angela Merkel in ihrer Ansprache zur Coronakrise.
Von einer Ausgangssperre, wie es sie im europäischen Ausland schon gibt, hat sie nichts gesagt – ausschließen will das aber niemand. Auch bei «Maischberger» nicht. Vor allem dann nicht, wenn Merkels Appell am Ende zu wenig geholfen haben sollte. Der medizinische Nutzen dieser Maßnahme indes durchaus umstritten.
Wer hat bei «Maischberger» diskutiert?
- Armin Laschet, CDU (Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen)
- Karl Lauterbach, SPD (Gesundheitspolitiker und Epidemiologe)
- Susanne Herold (Infektiologin)
- Uwe Janssens (Chefarzt einer Intensivstation)
- Markus Gürne (Leiter der ARD-Börsenredaktion)
- Ute Teichert (langjährige Gesundheitsamtleiterin)
«Im Moment haben wir die Lage im Griff», sagt Uwe Janssens, selbst Chefarzt einer Intensivstation. In Deutschland gibt es 34 Betten in der Intensivmedizin für 100.000 EinwohnerInnen, in Italien nicht einmal neun. Und dort sterben auch deutlich mehr Menschen infolge des neuartigen Coronavirus, die Mortalität liegt derzeit bei über vier Prozent. In Deutschland starben bisher 28 Menschen. «Das klingt nicht dramatisch», sagt Sandra Maischberger – «wir sind gut vorbereitet», sagt die Infektiologin Susanne Herold. Sie sagt aber auch, dass die Sterblichkeit in Wahrheit «schwer zu messen» sei.
Es fehlt vielerorts die nötige Schutzkleidung
Schon mit der genauen Zahl der Infizierten wird es schwierig: Zur Zeit sind es hierzulande etwa 10.000 Menschen, die Dunkelziffer aber liege sieben bis zehn Mal höher, sagt der Epidemiologe Karl Lauterbach, der für die SPD im Bundestag sitzt. Das Problem in Deutschland ist der schnelle und starke Anstieg der Zahl der Infizierten. Die Kurve steigt steil, ähnlich wie in Italien, in Südkorea aber flaut sie schon wieder ab. «Wir beobachten das mit Sorge», sagt Chefarzt Janssens – denn wenn es Ende kommender Woche 80.000 oder 90.000 Infizierte sein sollten, «dann wird das systemrelevant», sagt er.
Momentan werden viele Operationen, die nicht dringlich sind, verschoben. «Das bringt viel», sagt Janssens, weil so allein 10.000 dringend benötigte Beratungsgeräte sofort zur Verfügung stehen, und Personal dazu. «Eineinhalb Wochen werden wir damit stemmen können». Und dann? Wird es vor allem dann bedrohlich, wenn dem Personal in den Kliniken die nötige Schutzkleidung fehlt. Zehn bis 14 Tage kommt die Klinik von Uwe Janssens nach eigenen Angaben noch aus, andere hingegen nur noch bis kommenden Mittwoch. Und ohne entsprechenden Schutz könnten selbst Schwerkranke gar nicht mehr versorgt werden, so der Chefarzt. Auch in den Gesundheitsämtern fehle schon die Schutzkleidung, sagt Ute Teichert, eine langjährige Gesundheitsamtleiterin – aber auch das Personal: in den letzten 15 Jahren wurden dort 30 Prozent der Stellen abgebaut, sagt sie. Das rächt sich jetzt.
Ausgangssperren? «Ich bin nicht sicher, ob wir schon an dem Punkt sind»
Er habe die Lage anfangs «zu sehr verharmlost» muss Karl Lauterbach zugeben, nachdem er neueste Studien gelesen hat. Heute sagt er: Etwa 20 bis 35 Prozent der durch das neuartige Coronavirus hervorgerufenen Erkrankungen sei «besorgniserregend» – nämlich jene Fälle, die zwar eine Lungenentzündung bekommen, nachher aber keine Beatmung brauchen. «Besorgniserregend» wegen der Veränderungen der Lunge, die sich in diesen Fälle zeige. Doch während Lauterbach meint, dass eine allgemeine Ausgangssperre «wahrscheinlich etwas bringen würde», sagt die Infektiologin Herold, dass dies aus wissenschaftlicher Sicht bisher «unklar» sei. Selbst Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen, ist da zurückhaltend: «Wir haben jetzt schon vier, fünf, sechs Grundrechte mal eben außer Kraft gesetzt», sagt er, auf mögliche Ausgangssperren angesprochen. «Ich bin nicht sicher, ob wir schon an dem Punkt sind.»
Ohne einschneidendere Maßnahmen werde es nicht gehen, entgegnet Lauterbach. Einig ist man sich in der Runde, dass die Idee der «Herdenimmunität», wie sie etwa auf Corona-Partys und in Großbritannien verfolgt wird, also die Idee, dass die RisikopatientInnen besser geschützt sind, wenn möglichst viel möglichst junge Menschen mit der Krankheit schnell durch sind, eher abwegig ist. «Das ist ein riskantes Experiment», sagt Herr Lauterbach. «Das ist viel zu gefährlich», sagt Herr Janssens. «Das ist komplett unrealistisch», sagt Frau Herold.
Beruhigend ist vor allem ein neuerdings öfter zu hörender Satz, den hier Armin Laschet sagt: «Jetzt gilt das Primat der Wissenschaft». Davon hat vorher auch die Kanzlerin gesprochen. Das könnte dann ja auch mal gelten, wenn es zum Beispiel um den Klimawandel geht.
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