Nein, die CDU hat immer noch keinen neuen Vorsitzenden. Und dieser Zustand wird auch mindestens noch bis zum 4. Dezember andauern, an dem nach aktueller Planung auf dem Bundesparteitag in Stuttgart 1001 Delegierte zusammenkommen werden, um den Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer zu wählen.
An diesem Montag kommt Kramp-Karrenbauer erst einmal mit den drei Herren zusammen, die sie beerben wollen: Armin Laschet, Parteivize und nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Norbert Röttgen. In der CDU-Zentrale will man den Fahrplan bis zum Parteitag besprechen. Es dürfe «kein ruinöser Wettbewerb» werden, hat die Noch-Vorsitzende zuletzt sorgenvoll betont.
Kramp-Karrenbauer ist gefühlt schon ewig eine Vorsitzende auf Abruf, nachdem sie bereits im Februar ihren Abgang angekündigt hatte. Spätestens seit die im April geplante Neuwahl ausfiel, weil der entsprechende Bundesparteitag wegen Corona abgesagt wurde, scheint die Zeit in Sachen CDU-Chefposten still zu stehen.
Auch die Gemengelage unter den Nachfolge-Kandidaten ist immer noch dieselbe wie im Frühjahr: Laschet und Merz treten mit dem klaren Ziel an, jeweils im nächsten Schritt Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl zu werden und damit im übernächsten das Erbe der scheidenden Angela Merkel anzutreten.
Geändert hat sich allerdings die Ausgangslage: Während der Coronakrise haben die Unionsparteien ihre Umfragewerte um bis zu 15 Prozentpunkte verbessert, womit sich ein CDU-Vorsitzender und damit virtueller Kanzlerkandidat schon beinahe am Ziel seiner Träume sehen dürfte.
Wäre da bloß nicht CSU-Chef Markus Söder, der als bayerischer Ministerpräsident im Kampf gegen das Virus so sehr an Statur gewonnen hat, dass er im Rennen um die Kanzlerkandidatur sehr ernst genommen werden muss.
Nur: Was, wenn auch dieser CDU-Parteitag am Ende wegen Corona nicht stattfinden kann? Dann hätte Deutschland ein echtes Pandemieproblem — und die CDU ein Führungsproblem.
Der Überblick:
Wenn die Noch-Vorsitzende am Montagnachmittag Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen im Konrad-Adenauer-Haus empfängt, soll es um organisatorische Fragen auf dem Weg zum und auf dem Parteitag selbst gehen. Aber Kramp-Karrenbauer will den drei Kandidaten offenbar auch nochmal ins Gewissen reden. Dass der Wahlkampf schmutziger wird, je näher die Entscheidung rückt, liegt in der Natur der Sache. Aber die Herren sollen es nicht übertreiben. Diese Sorge treibt viel in der Partei um.
Und dann sind da eben die technischen Fragen zu klären: Wie lang etwa dürfen die Kandidaten auf dem Parteitag reden, der ja ohnehin auf einen Tag verkürzt wurde?
Und bis dahin? Ziemlich wahrscheinlich, dass man sich am Montag auf gemeinsame Auftritte vor Kameras im Konrad-Adenauer-Haus verständigt, denen die Parteimitglieder von zu Hause aus am Computer zuschauen können. Regionalkonferenzen übers Land verteilt, wie 2018 zwischen Kramp-Karrenbauer, Merz und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Rennen um die Nachfolge von Angela Merkel als CDU-Chefin, sind wegen Corona ausgeschlossen. Stattdessen sollen sich die Kandidaten digital präsentieren. Die Mitglieder können dann vom Bildschirm aus Fragen an die drei Bewerber einreichen.
Offen ist, ob die Kandidaten auch in einer oder mehreren öffentlichen Debatten im Fernsehen aufeinandertreffen. Eine konkrete Anfrage für ein «Triell» gibt es nach SPIEGEL-Informationen von der ARD. Daran hat vor allem der Außenseiter-Kandidat Röttgen Interesse, weil ihn das aufwerten würde. Bei seinen Mitbewerbern ist die Lust darauf entsprechend geringer ausgeprägt.
Jeder der drei Christdemokraten wird bis Dezember zudem seinen individuellen Wahlkampf machen: Auftritte vor der CDU-Basis, soweit es Corona zulässt, dazu Interviews und andere öffentlichkeitswirksame Formate. Die Kandidaten werden sich zudem um das Gespräch mit den Delegierten auf dem Bundesparteitag kümmern – jede Stimme könnte am Ende zählen.
Und jeder von ihnen dürfte versuchen, sich auf seine Weise zu profilieren. Dass Armin Laschet diese Woche den Papst im Vatikan treffen wird, passt selbstverständlich in die Agenda eines katholischen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen – aber Fotos und Berichte von seinem Treffen mit Franziskus dürften ihm auch als CDU-Chef-Bewerber zupass kommen.
Merz, derzeit ohne politisches Amt, hat es in dieser Hinsicht schwerer. Er setzt vor allem auf öffentliche Rede-Auftritte. Kandidat Röttgen profierte in den vergangenen Wochen davon, dass außenpolitische Themen Konjunktur hatten und damit Äußerungen von ihm, zumal besonders zugespitzte, besonders durchdrangen.
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Gibt es einen Favoriten?
Auf dem Papier scheint die Sache klar zu sein: Laschet ist Chef der nordrhein-westfälischen CDU, dem mitgliederstärksten Landesverband, er hat sich mit dem auch unter jungen Christdemokraten populären Jens Spahn verbündet und genießt zudem Unterstützung der Frauen Union. Allerdings hat Laschets öffentliches Bild insbesondere in den ersten Wochen der Coronakrise Schaden genommen, weil er unglücklich agierte und kommunikativ patzte. Begeisterung für den Kandidaten Laschet kommt bislang nicht mal bei seinen Anhängern auf.
In Umfragen liegt er deshalb deutlich hinter Herausforderer Merz. Aber kann sich dieser deshalb auf die Mehrheit der Delegierten-Stimmen verlassen? Sicherlich nicht.
Merz ist einer, der seine Zuhörer zu begeistern vermag, aber er polarisiert eben auch viel stärker als Laschet. Das zeigte sich Anfang der Woche, als Merz bei einem Gespräch mit «Bild» erst missverständliche Aussagen zur Nähe von Homosexualität und Pädophilie machte und anschließend selbst den Arbeitnehmer-Flügel seiner Partei gegen sich aufbrachte, weil er davon warnte, die Menschen könnten sich in Zeiten von Corona an das Nicht-Arbeiten gewöhnen.
Am Ende könnte es knapp werden zwischen Laschet und Merz, eine Entscheidung dürfte erst im zweiten Wahlgang fallen. Als ausgemacht gilt in der CDU, dass Röttgen im Rennen um den Vorsitz eher keine Rolle spielen wird.
Je knapper das Ergebnis für Laschet oder Merz ausfällt, desto lauter dürften schon auf dem Parteitag die Debatten über einen Mann werden, der gar nicht dabei ist: CSU-Chef Söder halten schon jetzt manche Christdemokraten für den geeignetsten Kanzlerkandidaten. Gegenüber einem neugewählten CDU-Chef, der keine breite Rückendeckung in der Partei hat, könnte die Zahl seiner Fürsprecher wachsen.
Nur: Offen ist weiterhin, ob Söder überhaupt für die Union ins Rennen um das Kanzleramt ziehen will.
Bislang wehrt er entsprechende Fragen mit Varianten der Aussage ab, dass sein Platz in Bayern sei. Gleichzeitig kann der so ehrgeizige wie machtbewusste Söder kaum verhehlen, wie sehr ihm die Rolle als virtueller Kanzlerkandidat schmeichelt. Mit Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber haben erst zwei CSU-Politiker die Unionsparteien in eine Bundestagswahl geführt, beide Male ohne Erfolg. Umso größer ist angesichts der Parteien-Umfragewerte und seiner persönlichen Beliebtheitszahlen die Verlockung für Söder: Das Kanzleramt scheint für ihn in greifbarer Nähe zu liegen.
Allerdings: Die CSU müsste mit einem Kanzler aus den eigenen Reihen ihr Politik-Modell im Bund wie in Bayern grundlegend verändern, ein adäquater Nachfolger als Ministerpräsident ist nicht in Sicht, zudem wäre Söder aus Sicht der CDU bundespolitisch weiterhin nur der Chef der kleinen Schwesterpartei.
Gesundheitsminister Jens Spahn hat in den vergangenen Monaten im Kampf gegen Corona an öffentlichem Ansehen gewonnen, aber im Rennen um den CDU-Vorsitz dürfte er keine Rolle spielen. Spekulationen darüber, dass er das Bündnis mit Laschet kündigen oder mit diesem die Rolle tauschen könnte, um auf dem Parteitag selbst anzutreten, haben sich in den vergangenen Wochen nicht bestätigt.
Spahn genießt zwar auch in der CSU viel Unterstützung, dort könnte man sich den Gesundheitsminister sogar als Kanzlerkandidaten vorstellen, aber diese Konstellation scheint praktisch unmöglich zu sein.
Stand heute kann der Parteitag im Dezember stattfinden. Die CDU-Zentrale hat ein ausgeklügeltes Hygienekonzept erarbeitet, das die Zusammenkunft von 1001 Delegierten ermöglicht. Die auf einen Tag reduzierte Veranstaltung wird ohne Gäste stattfinden, Journalisten können das Geschehen nur per Übertragung aus einer benachbarten Halle verfolgen. Wer an dem Parteitag teilnimmt, bekommt an den Eingängen Fieber gemessen und wird per elektronischem Badge darauf hingewiesen, sobald er oder sie anderen zu nahe kommt.
Parallel wird die CDU Räumlichkeiten an einem anderen Ort reservieren, falls in Stuttgart die Pandemie-Lage den Parteitag unmöglich macht.
Aber falls das Virus dies im Dezember überall in Deutschland unmöglich macht, dann wird es zu diesem Zeitpunkt keinen neuen CDU-Vorsitzenden geben. Es sei denn, bis dahin würde das Parteienrecht so geändert, dass man dies auch über einen digitalen Parteitag erreichen könnte.
Aber auch das ist höchst unsicher.
Source: spiegel.de
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