четверг, 24 сентября 2020 г.

Brexit: Warum David Marsh Deutscher werden will

Deutscher werden ist nicht schwer — Deutscher sein dagegen sehr. An diesen Spruch — gemünzt auf die Herausforderungen des «Vaterwerdens», aber irgendwie anwendbar auf meinen Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft — fühlte ich mich erinnert, als ich im August vom Bundesverwaltungsamt benachrichtigt wurde, meinem Einbürgerungsantrag sei stattgegeben. Die Urkunde wird am 7. Oktober in der Deutschen Botschaft in London feierlich überreicht.

Ab diesem Datum ist es amtlich. 75 Jahre nach Kriegsende, 55 Jahre nach meiner ersten Deutschstunde, 47 Jahre nach den ersten beruflichen Erfahrungen in Deutschland (Versetzung nach Frankfurt für die Nachrichtenagentur Reuters), 46 Jahre nach Eheschließung in der Pfalz mit einer jungen Esslinger Schönheit, der ich drei Jahre zuvor in meiner Heimatstadt Brighton begegnet war, 31 Jahre nach Veröffentlichung meines ersten Buches über Deutschland, 17 Jahre nach Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, 19 Monate nach Einbürgerungsantragseinreichung (ein reizender, wenn auch teilweise irritierender Begleiteffekt des Deutschwerdens: Es legitimiert immer längere und kompliziertere Wort- und Satzaufbaukonstruktionen) ist es so weit: Endlich bin ich deutsch-britischer «Doppelbürger».

Warum dieser Europäisierungsschritt, gerade zum Zeitpunkt, wo mein Land sich in die umgekehrte Richtung bewegt? Meine Motivation ist eine Mischung praktisch-persönlicher wie auch politisch-sozialer und ideologischer Faktoren. Nach der Verabschiedung Großbritanniens aus der Europäischen Union wollte ich einen demonstrativen, kontinentalen Schulterschluss zeigen, auch mit praktischen Konsequenzen. Die Idee, meine eigene europäische Freizügigkeit so gut wie möglich aufrechtzuerhalten, hat keine ausschlaggebende Rolle gespielt. Ich gehe davon aus, dass letzten Endes trotz des jämmerlichen Jonglierens von Premier Boris Johnson eine vertragliche Brexit-Regelung einen relativ ungehinderten Reiseverkehr zwischen Insel und Festland zulässt. Vielmehr wollte ich mit einer deutsch-britischen Geste erkennbar machen, dass trotz Brexit-Widrigkeiten Briten wie ich — möglicherweise auch das Land selbst -, wenn alles gut (oder vielleicht auch schlecht) geht, nach wie vor daran interessiert sind, sich für ein starkes, prosperierendes, integrationsfähiges Europa zu engagieren.

Unsere beiden Töchter besitzen seit ihrer Geburt die doppelte Staatsangehörigkeit. In einem modernen Europa müsste zwischen zwei befreundeten, aufeinander angewiesenen Nationen wie Deutschland und Großbritannien die doppelte Staatsbürgerschaft zur europäischen Verständigung beitragen. Dabei dachte ich auch, dass ein «Doppelbürger» besser in der Lage ist, gegenüber meinen einigen Landsleuten die Vorteile der Migration gerade für den Zusammenhalt wichtiger britischer Wirtschaftssektoren und vor allem des nationalen Gesundheitssystems vor Augen zu führen.

Doppelbürger zu werden ist für jemanden wie mich, der in London lebt, eigentlich schwierig. Die deutsche Staatsbürgerschaft kommt nur relativ selten für Ausländer infrage, die im Ausland und nicht in Deutschland wohnen. Die Behörden prüfen, «ob es für Deutschland vorteilhaft ist», einen Nichtdeutschen trotz ausländischen Wohnsitzes einzubürgern. Ohne Unterstützung der deutschen Botschaft in London wäre die Antragsbewilligung wahrscheinlich nicht gelungen.

Für ein Europa der Schwiegermütter

Einmal in Angriff genommen scheint das Unterfangen weniger willkürlich, leichter handhabbar und vor allem weniger kostspielig als die analoge britische Verfahrensweise für Europäer, wie zum Beispiel meine Frau, die über die britische Staatsbürgerschaft nachgedacht hat. An ihrem Status als gut integrierte, steuerzahlende, hausbesitzende, perfekt englisch beherrschende, seit drei Dekaden in London residierende Europäerin will sie eigentlich nichts ändern. Verständlicherweise betrachtet sie jeglichen Versuch, sie in Richtung «Engländerin-werden» zu zwingen als ein diskriminierendes antieuropäisches Erpressungsmanöver.

Sollte die Prozedur entbürokratisiert und schmackhafter gemacht werden, würde sie sie wahrscheinlich in Erwägung ziehen. Sie hat zurzeit keine Lust, sich einem abstrusen Einbürgerungstest zu unterziehen, der Queen oder Prinz Charles die Treue zu schwören oder mehrere Tausend Pfund für Rechtsanwalts- und Verwaltungsgebühren auszugeben. Ich kann deshalb nicht leugnen, dass bei meiner eigenen Entscheidung ein Hauch Sportsgeist in der Luft lag: Ich wollte meiner Frau zeigen, ich kann schneller Deutscher werden als du Engländerin. Künftig wäre jedoch in die beiden Richtungen eine Harmonisierung der deutsch-britischen Einbürgerungsvorschriften und -prozeduren dringend ratsam.

Was ändert sich an meinem Identitätsgefühl? Zunächst nicht so viel. Im Fußball werde ich weiterhin ohne glühende Begeisterung die englische Mannschaft unterstützen. Nach wie vor werde ich reichlich von meiner Freiheit Gebrauch machen, Politik und Politiker in beiden Ländern zu kritisieren — aber auch, falls angebracht, zu loben und vor allem konstruktiv zu vergleichen.

Mitten in der Corona-Pandemie ist es auch für viele Briten offenkundig, dass das deutsche «System» meilenweit krisenfester ist als das britische — eine große Errungenschaft, deren Wurzeln weit zurück in der Geschichte liegen, auch in den Nachkriegsstaatsreformen und den allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen, auf die die Deutschen mit Recht stolz sein sollten (das bin ich ab dem 7. Oktober dann auch).

Am vergangenen Wochenende im sonnigen Südfrankreich hat unsere Familie übrigens noch einen europäischen Meilenstein gesetzt: Unsere älteste britisch-deutsche Tochter hat einen eleganten Franzosen aus Nizza geheiratet.

Ich bleibe weiterhin Verfechter weniger eines «Europe des Patries» («Europa der Vaterländer»), als viel mehr eines «Europe des Belles-Mères», also eines Europa der Schwiegermütter. Vive les mariages mixtes!

Icon: Der Spiegel

Source: spiegel.de

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