Elio*, 30, Berlin, tanzte beim Hasenheide-Rave
In der Nacht von Samstag auf Sonntag kam um 4 Uhr die Polizei mit Hunden in den Park Hasenheide in Berlin Neukölln. Viele Menschen, die gerade noch gefeiert haben, verließen den Park. Wahrscheinlich vor allem die, die auch Drogen dabei hatten. Einige wurden richtig sauer: Sie wollten ausgelassen feiern und das ging jetzt nicht mehr. Darum machten sie Hundelaute, um die Polizei zu ärgern. Die blieb aber ziemlich ruhig.
Die Nacht zuvor, am Freitag, war es viel angenehmer: Da waren nur wenige Leute im Park, vor allem junge Menschen. Die Musik war super und wir konnten die ganze Nacht durchtanzen. Ein tolles Gefühl. Ich bin am Morgen direkt im Anschluss zu einer After Party in die Wohnung eines Freundes, da waren so um die zehn Leute. Wir frühstückten, hingen auf dem Balkon ab, es war total entspannt.
«Ich brauchte ein paar Stunden, um an nichts zu denken»
Wieso ich an dem Wochenende auf den Feiern war? Ich hatte Freunde zu Besuch — und Freunde von mir hatten auch Freunde zu Besuch. Wir waren bestimmt 20 Leute und entschieden, dass wir mal wieder Bock haben, richtig Party zu machen. Besonders am CSD-Wochenende wollten wir sichtbar sein und laut feiern.
Ich hatte ein hartes Jahr, meine Mutter ist gestorben — und ich konnte mich nicht von ihr verabschieden. Ich bin Ausländer und habe ich nicht mehr rechtzeitig eine Ausnahmegenehmigung bekommen, um sie zu besuchen. Die Ausländerbehörde war komplett dicht damals. Ich brauchte ein paar Stunden, um an nichts zu denken.
Natürlich haben wir auf dem Weg zur Party Masken getragen, aber auf dem Rave haben wir sie abgesetzt. Wir waren ja die ganze Zeit draußen und da ist es unwahrscheinlicher, dass wir uns anstecken. Umarmt haben wir uns nicht, aber das war es auch.
Meine Freunde und ich wussten, dass wir uns beim Rave einem Risiko aussetzen. Aber wir haben die Freiheit, mit unserem Körper zu machen, was wir wollen. Einige Leute hatten da Sex im Gebüsch — so weit würde ich nicht gehen.
Im Alltag achte ich auf die Regeln, egal ob in der Bahn oder im Coworking-Space. Aber ich mache mich deswegen auch nicht verrückt. Es gibt immer ein Risiko, sich anzustecken, egal ob im Bus — oder auf so einer Party.
Ich mache Sport, auch draußen, spiele gern Volleyball. Ich achte auf meinen Körper und meine Ernährung. Ich möchte gesund bleiben. Wahrscheinlich werde ich auch nicht noch mal auf so einen Rave gehen. Weniger, weil ich Angst habe, mich anzustecken. Ich bin jetzt 30 und habe gar nicht mehr die Energie, andauernd sowas zu machen. Nach dem Wochenende in der Hasenheide war ich echt fertig.
Ich habe Bekannte, die schon am Virus gestorben sind. Ich kenne die Statistiken mit den Infizierten und Verstorbenen. Trotzdem weiß ich, dass viele Menschen, und so auch ich, sich eingeschränkt fühlen. Gerade junge Menschen werden verurteilt — auf einmal soll alles kontrolliert werden. Besonders wenn es um öffentliche Versammlungen geht, ist es wichtig, dass die Politik überdenkt. Wir brauchen neue Vorschläge, wie wir alltägliche Dinge machen können — auch in einer Pandemie.
Tobias, 40, Berlin, lud zu sich nach Hause ein
«Ich habe im Juni meinen Geburtstag gefeiert. Ich dachte mir: Gerade jetzt sollte man das Leben feiern. Mir war aber wichtig, dass ich mich an die offiziellen Regeln halte. In dem Haus, in dem ich wohne, leben auch ältere Leute. Die gehen kaum noch raus, Familienangehörige stellen Essen vor die Tür. Die möchte ich für ein bisschen Party nicht gefährden.
Deswegen wollte ich keine ausufernde Feier, sondern ein Treffen mit Freunden. Fünf Gäste waren zu der Zeit zu Hause erlaubt, 20 waren über den Tag verteilt da. In meiner Einladung habe ich meine Freunde auf die Umstände hingewiesen.
Morgens um 10 Uhr fingen wir mit der ersten Gruppe von fünf Gästen an, gegen 12 Uhr gingen die wieder. Dann desinfizierte ich die Küche, das Badezimmer und sämtliche Türgriffe, tauschte alle Handtücher aus, am Buffet gab es größtenteils recyclebares Einweggeschirr. Um 13 Uhr kam die nächste Fünfergruppe, die ging um 15 Uhr wieder. Dann Desinfektion. Um 16 Uhr die nächste Gruppe und so weiter. Die letzte Gruppe hielt bis 22 Uhr durch.
Schwierig wurde es, als eine Gruppe bleiben wollte, obwohl die nächste schon bald dran war. In meiner Sektlaune stimmte ich fast zu. Aber die zweite, nüchterne Gruppe, bestand darauf, dass die anderen gehen. Das war vorbildlich und alle zeigten Verständnis.
Rückblickend war das der anstrengendste Geburtstag meines Lebens, weil ich letztlich gut zwölf Stunden mit vier Gruppen gefeiert habe. Es war aber auch irgendwie der Schönste, weil alle mitgezogen haben, um in diesen Zeiten beisammen zu sein.
Ich postete Bilder von meinem Geburtstag auf Instagram, und manche Freunde fragten danach. Ich erklärte ihnen dann die ganze Organisation dahinter. Freunde aus Spanien, Italien oder Brasilien wunderten sich zwar, die meisten fanden es eher witzig und ‘typisch deutsch' — im positiven Sinne: dass man so viel Aufwand für seinen Geburtstag betreibt.
«Rückblickend war das der anstrengendste Geburtstag meines Lebens»
Nach meiner Party hatte ich kein schlechtes Gewissen, ich hatte mich ja an alle Vorsichtsmaßnahmen gehalten. Keiner meiner Gäste war oder wurde krank. Ich würde es wieder so machen. Es nützt ja nichts, wenn man Regeln hat, sich aber nicht innerhalb dieser Struktur bewegt. Eine Angststarre hilft niemanden — ein bewusster Umgang mit der Situation schon.
Die Raves in der Hasenheide zum Beispiel finde ich sehr verantwortungslos. Ich meine, es ist gut, dass es eine Protestkultur in Berlin gibt und man recht häufig Demonstrationen verschiedenster Art sieht. Beim ‘Protest auf der Spree' ging es aber einfach nur um Party. Der ‘inoffizielle CSD’ mit nur einem Musik-Truck ohne Kundgebungen, einfach als freier Marsch mit Alkoholverbot, war ein Protest, der auch mit Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt wurde. Jedes Anliegen sollte sichtbar sein, das ist ein Grundrecht — aber man muss sich an Regeln halten.»
Larry Tee, 61, Berliner DJ und Designer, organisierte eine LGBT-Party auf dem Tempelhofer Feld
«Ich schmeiße jedes Jahr eine LGBTQI-Party, so auch dieses Jahr auf dem Tempelhofer Feld. Für gewöhnlich finden meine Partys in Berliner Clubs statt — heiße Orte für Leute, um rumzumachen.
Die Party auf dem Tempelhofer Feld sollte keine von diesen Partys sein, sondern ein kleines Get-together. Wir organisierten zum Beispiel kein Sound-System, damit es intim bleibt. Letztlich brachte dann doch jemand einen Lautsprecher mit und die Leute fingen an zu tanzen. Ich kann gar nicht schätzen, wie viele Menschen da waren — aber jemand meinte, dass es über den Tag verteilt an die 2200 Leute waren.
Gott sei Dank verbreitet sich Covid an der frischen Luft nicht so schnell wie drinnen. Hier konnte auch jeder Abstand halten, da wir auf einer großen Fläche waren. Es fühlte sich nie so an, als könnte sich das Virus schnell verbreiten. Außerdem gab es Sicherheitsmarkierungen. Ich bin froh, dass die Leute ein bisschen zusammen tanzen konnten. Der Event erinnerte mich an die Zeit vor Corona.
«Es hat mir gezeigt, wie einfach es hätte schiefgehen können»
Umarmungen haben wir meist gelassen, damit kann ich leben — obwohl ich Umarmungen brauche. Nur hier und da haben wir uns mit dem Ellenbogen begrüßt und es gab ein paar: ‘Ich würde dich gern umarmen’. Ich bin mir sicher, dass es kein Superspreader-Event war. Aber es hat mir gezeigt, wie einfach es hätte schiefgehen können.
Deswegen war auch gut, dass irgendwann die Security des Parks kam und die Veranstaltung sich langsam auflöste. Das Event sollte am Tag stattfinden, nicht später, wenn die Leute high und betrunken sind. Aber ich glaube, es ist eine gute Party, wenn die Security sie beendet.
Ich will daraus keine regelmäßige Party machen. Einmal reicht. Ich denke, dass wir vorsichtig sein müssen. Ich glaube nämlich, dass es einen zweiten Lockdown geben wird. Allerdings habe ich mir auch die Covid-Statistiken für Berlin angeschaut und hatte das Gefühl, dass es okay sei. Vor allem, weil wir stark darauf aufgepasst haben, dass sich keine Gruppen bilden und die Leute nicht zu nah beieinander stehen. Wirklich, unsere Gruppe sah aus wie der Rest des Parks: kleine Gruppen von Freunden.
Wir haben unseren Gästen gesagt, dass wir keine von diesen lauten Outdoor-Club-Partys wie in der Hasenheide feiern. Bei diesen Partys tanzen alle nah beieinander. Ich bin generell nicht gegen diese Partys. Aber sie hinterlassen sehr viel Müll. Ich bin froh, dass wir hinterher aufgeräumt haben.
Ich kann nicht aufhören, die aktuellen Todeszahlen mit denen der Aids-Krise zu vergleichen: An Covid sind bislang rund 220 Menschen in Berlin gestorben. Aids hat Tausende von Schwulen getötet, weltweit sogar 35 Millionen Menschen. Mich macht es etwas sauer und traurig, dass Hunderttausende von schwulen Leben in den Achtzigerjahren nicht mit so einer Wichtigkeit behandelt wurden. Schwule Leben wurden damals nicht als wichtig angesehen.»
*Der Protagonist heißt eigentlich anders. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.
Source: spiegel.de
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