Er ist der erste Staatschef, der nach dem Corona-Lockdown ins Weiße Haus kommen darf. Und darauf ist Andrzej Duda sehr stolz. Über das ganze Gesicht strahlt der Mann aus Warschau, als er neben Donald Trump im Rosengarten vor die Presse tritt.
Die Reise war ein Erfolg aus der Sicht der polnischen Rechten, die sich selbst unter einem irrlichternden Präsidenten wie Trump den USA ganz besonders zugetan fühlen: Es «gibt die Möglichkeit», dass zusätzliche amerikanische Soldaten — so hat es Trump am Mittwoch Duda versprochen — nach Polen verlegt werden. Das ist eine Wohltat für die polnische Seele, die sich notorisch unwohl fühlt, so dicht an Russland und so weit im Osten der Nato.
Duda bemüht sich, den Erfolg von Washington als das Verdienst seiner gewieften Außenpolitik darzustellen. Und obwohl eben gar nicht sicher ist, dass die Army wirklich noch weiter nach Osten vorstößt — die Visite ist der Höhepunkt eines ansonsten langen und langweiligen Wahlkampfs.
Sollte Trzaskowski gewinnen, wäre das Regime der PiS erschüttert
Dabei steht viel auf dem Spiel: Stellt die nationalkonservative PiS-Partei in Warschau weiterhin Regierung und Staatsoberhaupt? Oder kann der Kandidat der Liberalen, Warschaus Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, den Rechten das Präsidentenamt abjagen? Eine Stichwahl am 12. Juli gilt Meinungsumfragen zufolge fast als sicher.
Sollte Trzaskowski gewinnen, wäre das Regime der PiS erschüttert. Zwar verfügt die Partei im Sejm, dem polnischen Parlament, immer noch über die absolute Mehrheit. Doch der Senat ist bereits an die Opposition gefallen. Mit einem liberalen Präsidenten an der Staatsspitze könnte PiS nicht mehr wie bisher durchregieren. Die Kompetenzen des höchsten Staatsamts sind nicht groß, aber dennoch geeignet, Sand ins Getriebe der rechtsnationalen Herrschaftsmaschinerie zu streuen.
Auf Andrzej Duda war Verlass: Nicht selten wird er «Kaczynskis Kugelschreiber» genannt, denn er hat bisher fast jedes noch so umstrittene Gesetz unterschrieben. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski ist der wahre Machthaber in Polen, der aus seinem Büro im PiS-Haus an der Warschauer Nowogrodzka-Straße die Staatsgeschicke lenkt. Er gilt auch als Vater jener Justizreform, die Polen in Europa viel Kritik eingebracht hat. Wegen Verstößen gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ist in Brüssel ein EU-Verfahren anhängig, an dessen Ende Polen theoretisch sogar seine Stimmrechte in europäischen Gremien verlieren könnte.
Jungenhafter Charme als Wahlkampfwaffe
Um so verblüffender ist, dass sich Duda und Trzaskowski auf unheimliche Art und Weise ähneln:
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Sie sind gleich alt, beide Jahrgang 1972, beide entstammen einer Generation, für die der Kommunismus nur noch ein ferner Schatten ist.
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Sie haben bereits in Freiheit studiert, an renommierten Universitäten: Trzaskowski in Warschau, Duda im konservativen Krakau.
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Beide sind verheiratet, haben Kinder.
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Sie sind keine Visionäre, keine Volkstribunen, sondern vor allem nette Kerle, deren wichtigstes politisches Handwerkszeug ihr jungenhafter Charme ist.
Andrzej Duda kann sich auf die ländliche Wählerschaft im Osten des Landes verlassen, Trzaskowski hat seine Anhänger in den Großstädten. Also umwerben die Kandidaten vor allem die Bewohner der Mittel- und Kleinstädte. Sie sind es — so haben Meinungsforscher festgestellt — .die die Wahl entscheiden werden, Menschen, die nicht die Verlierer des Transformationsprozesses sind, aber auch nicht ihre Speerspitze.
Es ist dadurch ein Wahlkampf ohne Inhalte geworden, es geht nicht um das Bildungssystem, die Krankenhäuser, noch nicht einmal um das milliardenschwere Anti-Corona-Konjunkturprogramm, sondern um Gefühle, analysiert die katholische Wochenzeitung «Tygodnik Powszechny»: Ich bin einer von euch! Ihr seid in Ordnung! — so etwa lautet die Botschaft der beiden.
Eigentlich hatte PiS darauf gedrängt, den Urnengang mitten im Corona-Lockdown abzuhalten. Duda hatte schon begonnen, einen eher gespenstisch wirkenden virtuellen Wahlkampf zu führen. Aber dann war die Wahl auf Druck des kleinen rechten Koalitionspartners der PiS doch verschoben worden.
Mittlerweile sind die Infektionszahlen einigermaßen unter Kontrolle, und Duda darf wieder nach draußen: Die Limousine fährt vor, er winkt, örtliche PiS-Würdenträger begrüßen die Gäste. Der Präsident lässt sich lokale Spezialitäten reichen, nicht selten tragen seine Verehrer polnische Trachten. Er lobt Schnaps und Gebäck. Familie, Polen, das von PiS eingeführte Kindergeld sind seine Themen, Tenor: Ihr müsst euch nicht ändern. Nationalistische Tiraden liegen ihm eher nicht.
«Die Polen sind in den vergangenen Jahren wohlhabender, säkularer und toleranter geworden.»
Es war Jaroslaw Kaczynski, der den eher unbekannten Politiker Duda vor fünf Jahren entdeckt hat. Er gilt als Mann ohne Eigenschaften, der genau die Rolle spielt, die Kaczynski für ihn vorgesehen hat: die eines Konservativen, der aber auch irgendwie jung und modern ist. Seine Frau hat Germanistik studiert, Abneigung und Misstrauen gegen die Deutschen etwa, eine Grundkonstante nationalkonservativen Denkens, ist für Duda ein Ding der Unmöglichkeit. Duda ist Kaczynskis Ein-Mann-Stoßtrupp in jüngere Wählerschichten, die der harte PiS-Nationalismus eher abschreckt.
Auch Trzaskowski ist dieser Tage unermüdlich auf Reisen. Er spricht fünf Sprachen, war Staatssekretär für Europaangelegenheiten, ist noch Oberbürgermeister des toleranten Warschau — und bemüht sich um den Schulterschluss mit den Menschen der Provinz. Tiraden gegen die Regierung lässt er weitgehend aus. Veränderung ja, das will er, das Herrschaftsmonopol der PiS brechen — aber zwischen den Zeilen scheint er bemüht zu versichern: Wir wollen euch nichts zumuten.
Streitpunkt Schwule und Lesben
Es scheint nur ein Thema zu geben, bei dem sich die Kandidaten wirklich in die wohl frisierten Haare kriegen: das Verhältnis zu Schwulen und Lesben. Familie, das ist für Duda ausschließlich die Verbindung von Mann und Frau. Alle anderen Arrangements läge eine «LGBT-Ideologie» zugrunde, die die Grundfesten des Polentums erschüttern wolle, so wie es einst der Bolschewismus getan habe.
Trzaskowski dagegen sagt, dass er für «gleichgeschlechtliche Verbindung» ist, und hat in Warschau eine LGBT-Charta durchgesetzt, die die Minderheit schützen soll. Sein Vizebürgermeister lebt offen schwul.
Die Sicht Dudas ist in Polen verbreitet — aber langsam auf dem Rückzug, meint etwa der Soziologe Andrzej Ryszard: «Die Polen sind in den vergangenen Jahren wohlhabender, säkularer und toleranter geworden.» Die schwulenfeindlichen Ausfälle des Präsidenten seien wohl ein Vorgriff auf den zweiten Wahlgang. Dann gilt es für Duda, die Stimmen der extremen Rechten einzusammeln. Deren Kandidat, Krzysztof Bosak, könnte in der ersten Runde zwischen sechs und zehn Prozent erzielen. Ob das gelingt, ist offen, Umfragen sehen für die zweite Runde mal Trzaskowski vorn, mal Duda.
Source: spiegel.de
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