пятница, 28 февраля 2020 г.

Rechtsterrorismus: Wenn ich weiß wäre, müsste mein Kind keine Angst haben

Wenige Tage nach dem Attentat in Hanau hat uns unser Leser Trung Hoàng Lê Tagebuchaufzeichnungen geschickt. Eigentlich möchte er einen Brief an sein noch nicht geborenes Kind schreiben, doch zwei Ereignisse veranlassen ihn, innezuhalten: Der erste Teil seiner Notizen stammt vom 5. Februar, dem Tag, an dem im Thüringer Landtag der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich mithilfe von Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Den zweiten Teil hat er am 20. Februar verfasst, einen Tag nachdem in Hanau ein rassistischer Täter neun Menschen erschoss und dann sich selbst und seine Mutter tötete.

5. Februar 2020

In einem Monat werde ich Vater. Seit einigen Monaten schreibe ich meinem Kind einen Brief. Heute aber war es unmöglich, den Brief fortzusetzen. Denn jedes Mal, wenn ich mich an den Tisch setze, sehe ich mich regungslos in einem Tal stehen. In der Ferne befindet sich ein Staudamm. Ich weiß, dass er über kurz oder lang brechen wird, denn das Wasser steht mir schon bis zu den Knien. Ich müsste fliehen. Aber wohin?

Im Thüringer Landtag wurde der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – mithilfe von Stimmen der AfD.

Rechtsterrorismus: Trung Hoàng Lê

Trung Hoàng Lê © privat

Die Mutter meines Kindes ist weiß. Ich bin es nicht. Wenn wir uns über den Namen des Kindes unterhalten, dann kommen wir nicht um die Frage herum, ob ein deutscher oder vietnamesischer Name günstiger wäre. Ja, günstiger. Mir fällt kein besseres Wort für diesen Abwägungsprozess ein. Mit welchem Namen wird es eher die Gunst der Menschen für sich gewinnen können? Dem vietnamesischen oder dem deutschen Ursprungs?

Wird er auf Hass treffen, wenn es meinen Namen trägt? Wenn seine Gesichtszüge als fremd wahrgenommen werden – ist es dann nicht besser, er hätte wenigstens einen erkennbar deutschen Namen? Mir ist nicht wohl dabei, diese Gedanken zu denken und diese Zeilen zu schreiben. Ich schäme mich, so zu denken.

Ich schäme mich auch, wenn mich der junge Mann in der Tram unentwegt anstarrt und verachtend seinen Mundwinkel hebt. Wenigstens hat er kein Butterflymesser dabei, wie der andere Mann in der Bahn, der ostentativ damit spielt. Zum Glück ist es noch hell.

Es ist hell und die Demokraten sind wach. Aber sind sie es wirklich? Lange Zeit dachte ich, die demokratische Mehrheit würde keine sozialen und politischen Anstrengungen scheuen, um die Wellen des Hasses einzudämmen. Doch die Wahl in Thüringen entlarvt meine Hoffnungen als naiv.

Der Damm ist zu mehr als einem Viertel marode. Im thüringischen Parlament saßen keine Jugendlichen am Rande der Gesellschaft, wie sie mir im Rahmen meiner therapeutischen Arbeit begegnen. Es waren Menschen aus der sozialen und politischen Mitte. Da tat sich die Mitte zusammen mit jenen, die die Demokratie verhöhnen, die bereitwillig die Wut anderer für ihre Zwecke ausnutzen. Ein deprimierender Tag, an dem die Ausnahme sich als Regel zu erweisen droht. Da gibt etwas nach, was für die, die im Tal leben, lebensentscheidend sein kann.

Dramatisiere ich zu sehr? Kann sein. Aber was für ein Vater wäre ich, würde ich die Gefahr nicht erkennen und mit aller Kraft versuchen, sie von meinem Kind fernzuhalten?

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