пятница, 28 февраля 2020 г.

Caribou: Um die Kinder herumtanzen

Seit beinahe 20 Jahren nimmt Dan Snaith gefühlsbetonte Clubmusik und clubtaugliche Musik fürs Gefühl auf, die letzten 15 davon unter dem Künstlernamen Caribou. Sein Talent ist offensichtlich, aber trotzdem schwer zu kopieren: Snaith produziert nicht wirklich Dancetracks und schreibt nicht wirklich Popsongs, balanciert die Kräfte in seiner Musik jedoch immer wieder so sensibel aus, dass sie in beiden Welten gleichzeitig funktioniert. Allein in den vergangenen fünf Jahren, die der Londoner mit kanadischen Wurzeln überwiegend im eigenen Kellerstudio verbracht hat, sind zahllose DJs, Produzentinnen und Songwriter an der Suche nach diesem Gleichgewicht verzweifelt.

Snaith hat es längst gefunden und auch während der längsten Caribou-Pause seiner Karriere nicht verloren. Trap-Rap lautet seine Antwort. Gleich an zweiter Stelle seines neuen Albums Suddenly steht das Stück, um das er die ganze Platte herum organisiert hat, ein fürchterlich betrübter Song namens You and I, den Snaith mit gewohnt zerknautschter Stimme einem plötzlich verstorbenen Verwandten widmet. Synthies, Loop, Schlagzeug: Alles trägt Trauer und Samthandschuhe – bis sich ein paar Regler verschieben und Snaith im Robo-Falsett von James Blake über einen Trap-Beat hinwegsingt. Keine 20 Sekunden dauert dieser Moment, dann setzt der Künstler einen Refrain fürs Festivalzelt obendrauf. Plötzlich ist You and I nicht mehr fürchterlich betrübt, sondern auf Heilung gepolt. Der Trick ist typisch Caribou, der Effekt einmal mehr glorreich.

Suddenly ist das siebte Album des promovierten Mathematikers mit dem Look eines promovierten Mathematikers – eine Platte, die selbstgewisser im Sattel sitzt, als es für einen Soundlaboranten wie Snaith möglich sein sollte. 900 Loops hat er diesmal programmiert und dann die besten zwölf herausgefiltert. Übergeordnetes Thema ist nicht mehr die Vereinigung scheinbar unvereinbarer musikalischer Umfelder, sondern das eigene Familienleben in Stoke Newington (Zitat Tagesspiegel: das Dorf von London) mit all seinen Geburten, Scheidungen, Erkrankungen, Todesfällen und sonstigen Unwägbarkeiten.

Weil Snaith nicht gut mit Worten kann, hat er einen musikalischen Schlachtplan erstellt, um dieses Thema zu illustrieren. In jedem Song auf Suddenly gibt es mindestens eine Idee, die nicht zum Rest des Stücks passt, sich aber trotzdem breitmacht wie ein Baby im Bett seiner Eltern. You And I hat sogar zwei solcher Ideen: Auf den oben beschriebenen Trap-Moment folgt eine Kombination aus Gitarren- und Saxofonsolo, die man so konsequent bisher nur aus der kurzen Rock'n'Roll-Karriere von Alf kannte. Später überrascht Snaith wieder als Hip-Hop-Connaisseur: Sunny's Time enthält eine zerstückelte Rap-Strophe und Home einen Boombap-Beat, der ein obskures Sample der Soulmusikerin Gloria Barnes vor sich hertreibt.

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Snaith führt sein Projekt damit nicht zum Klang, aber zum Spirit der Anfangstage von Caribou zurück. In den frühen Nullerjahren, als er noch in Ontario lebte und seine Alben unter dem Namen Manitoba veröffentlichte, war der Musiker zusammen mit späteren Indiestars wie Animal Collective und Grizzly Bear Teil einer (nur theoretisch existierenden) Bewegung, die klassischen Lagerfeuer-Folk und die Harmoniegesänge der Beach Boys mit Laptop, Synthesizer und Drumcomputer neu interpretierte. Sounds und Songverständnis waren progressiv, die Lieder aber drehten sich häufig um Landflucht, Wanderlust und traute Zweisamkeitsfantasien. Alles war sehr zauselig und naturverbunden, viele Bands trugen Tiernamen und -masken.

Das «if» zwischen Realität und Sehnsucht

Im Jahr 2020 ist die Zweisamkeit keine Fantasie mehr für den Backsteinhäuschenbewohner Snaith. Nur besonders traut fühlt sie sich auf Suddenly nicht an. Immer wieder handelt das Album vom Ankommen und den Dingen, die einen davon abhalten. Meistens findet Snaith doch noch einen if-clause, der sich zwischen ihn und die ersehnte Geborgenheit schiebt. Zugleich untersucht Suddenly die Anschlussfähigkeit seiner zwischenmenschlich interessierten Songs an die größeren Themen des Zeitgeists: Schon im kurzen Intro der Platte steckt nicht nur ein Lied für Snaiths Schwester, sondern auch ein Entschuldigungsschreiben an die #MeToo-Bewegung:

Viel zu naiv und passiv habe er Treiben und Gepflogenheiten der Musikindustrie jahrelang beobachtet, sagte Snaith dazu kürzlich in einem Interview mit dem US-Magazin Esquire. Geschockt sei er gewesen, als auch Vorwürfe gegen Männer aus seinem beruflichen Umfeld bekannt wurden. Der Song Sister enthält nun vier Zeilen, in denen Snaith Besserung gelobt und noch einmal vier Zeilen aus der Sicht seiner Schwester, mit denen sie entgegnet, dass es höchste Zeit dafür sei. Als einziges Stück auf Suddenly bleibt Sister zu jeder Zeit des Tages untanzbar. Stattdessen besiegelt eine jahrzehntealte Sprachnachricht von Snaiths Mutter den Geschwisterpakt.

Rührendes Zeug also. Die Eleganz, mit der persönliche Verstrickungen und höherer Sinn in Sister zusammenfinden, hat der Tüftelkomponist den meisten sogenannten ernsthaften Songwritern voraus. Die Leidenschaft, mit der er sein Familienleben auf Suddenly besingt und zugleich von allen zugehörigen Klischeevorstellungen befreit, ist aber die eigentliche Überraschung des Albums. Jahrelang war Dan Snaith der beste Tastendrücker und Kabelstecker der Sommerfestivals. Jetzt kommt er nach Hause.

 «Suddenly» von Caribou erscheint bei City Slang/Universal.

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