Uwe Rösler ist mit Fortuna Düsseldorf abgestiegen, aber für seinen Berufsstand der Bundesligatrainer hat er zuvor noch Pionierarbeit geleistet.
Am 30. Spieltag der abgelaufenen Bundesligasaison wechselte Rösler auf einen Schlag vier Spieler aus. Das hatte es in der ersten Liga noch nie gegeben. Die Regeln ließen seit 1994 maximal drei Wechsel pro Team in einer Partie zu. Aber in der Corona-Pause hatte der Fußball-Weltverband Fifa eine zeitlich begrenzte Sonderregel installiert: Bis Saisonende waren fünf Wechsel möglich, die in maximal drei Unterbrechungen vorgenommen werden sollten. Damit sollten vor allem die Profis geschützt werden, die aufgrund der langen Pause und der dann vielen Spiele in kurzer Abfolge einem erhöhten Verletzungsrisiko ausgesetzt wurden.
Rösler nutzte die neuerlichen Möglichkeiten besonders: Am 30. Spieltag lag Düsseldorf in der 66. Minute 1:2 gegen Hoffenheim zurück. Rösler brachte die vier frischen Spieler auf einmal. Zehn Minuten später fiel das 2:2. Hatte er das Remis eingewechselt?
Wie groß der Einfluss der vermehrten Wechsel auf den Spielausgang sind, das lässt sich bislang nicht sagen. Dafür ist die Anzahl an Partien zu gering. Maßnahmen wie die des Fortuna-Coachs könnten künftig aber häufiger zu beobachten sein. Zumindest bekommen die Trainer die Möglichkeit dazu.
Das Gremium, das über die internationalen Regeln wacht, heißt Ifab (International Football Association Board). Die Fifa hat darin maßgeblich Einfluss (sie stellt vier der acht Mitglieder des Boards). Am Mittwoch gab es beim Ifab eine Aufsichtsratssitzung, in der darüber entschieden werden sollte, ob die Corona-Hilfsmaßnahme der fünf möglichen Wechsel auch auf die kommende Spielzeit ausgeweitet werden soll.
Nun ist beschlossen, was «The Athletic» schon vorab berichtet hatte: Die Sonderregel — fünf Wechsel innerhalb drei Wechselfenstern exklusive der Halbzeitpause — bleibt. Und sie könnte das Spiel prägen. In der abgelaufenen Bundesligasaison jedenfalls hatte sie schon Einfluss. Das lässt sich gut am Fall Rösler und Düsseldorf zeigen.
Fortuna war ein Team der späten Wendungen. Gegen Leipzig am 32. Spieltag lag die Elf bis zur 66. Minute 0:2 zurück. Dann wechselte Rösler gleich drei Spieler auf einmal ein und ließ bis zur 82. Minute auch noch den vierten und fünften Frischen von der Bank folgen. Kurz danach gelang Düsseldorf der Anschluss- und in der Nachspielzeit sogar der Ausgleichstreffer.
Auch Röslers Gegenüber nutzte die neue Wechselmöglichkeit, um den Ausgleich zu verhindern: RB-Trainer Julian Nagelsmann brachte drei Neue, wechselte insgesamt fünfmal. Es half nur nichts. Das Spiel wurde gedreht.
Trainer nutzen die neuen Wechselmöglichkeiten
Jenes «Spielchen wechsel dich» hat Rösler auch umgekehrt erlebt. Am 27. Spieltag führte Düsseldorf gegen Köln 1:0. Dann wechselte Kölns Trainer Marcus Gisdol in der 60. Minute dreimal auf einen Schlag (ein übrigens seit dem Wiederbeginn häufiger verwendetes Mittel auch anderer Trainer). Düsseldorf erhöhte zwar eine Minute später auf 2:0. Doch der FC schaffte durch zwei späte Tore noch ein 2:2. Beide Trainer nutzten alle fünf Wechselmöglichkeiten zwischen dem 1:0 und dem 2:2 komplett aus. Aber nur Gisdol gelang die Wende.
Die reine Anzahl der Auswechslungen bestimmt also noch nicht über Erfolg und Misserfolg. Es gab zwar noch einige andere Beispiele in der Post-Corona-Bundesliga, bei denen nach Mehrfachwechseln Spiele entscheidend beeinflusst wurden. RB Leipzig war dabei das Team, das am häufigsten nach gegnerischen Mehrfachwechseln Siege aus der Hand gab.
Aber wie genau die jeweilige Dynamik einer Partie verändert wurde, dazu bräuchte es eine tiefere Analyse. Gab es auch taktische Veränderungen durch die Wechsel oder andere Ereignisse, die Einfluss auf das Ergebnis hatten? Platzverweise etwa? Genauere Aussagen darüber, wie sich das Spiel an sich durch die neuen Wechselmöglichkeiten verändert, ob es schneller wird mit mehr intensiven Läufen, ob es weniger Verletzungen und mehr Tore in der Schlussminute gibt, all das wird die Zukunft zeigen.
Bisher lässt sich nur festhalten: Seit dem Wiederbeginn nutzte ein Großteil der Teams die neuen Wechselmöglichkeiten. Pro Spieltag wechselten mindestens 13 von 18 Trainer vier- beziehungsweise fünfmal aus. Am 29. Spieltag taten das sogar alle 18 Trainer. Meistens wurde eher fünf- als viermal von einem Spielertausch Gebrauch gemacht.
Profitieren vor allem die reicheren Klubs?
Theoretisch können Trainer dadurch umfassender ihre Taktik ändern. Ein Team, das es mit seinen Pässen nicht in den gegnerischen Strafraum schafft, wechselt mit einem Mal zentrale Mittelfeldspieler und wuselige Stürmer aus und bringt dafür zwei Flankengeber und Zielspieler. Die Defensive des Gegners stünde plötzlich vor völlig anderen Herausforderungen. Allerdings sind solche Systemumstürze bislang meist Theorie geblieben. In vielen Fällen blieben die Wechsel positionsgetreu. Das beeinflusst das Spiel noch immer, etwa wenn ein Außenverteidiger mit Offensivdrang einen defensiv denkenden Teamkollegen ersetzt. Das Potenzial, das im erhöhten Wechselkontingent liegt, ist aber längst nicht ausgeschöpft.
Eine weitere These lautet, dass gerade die reichen Klubs zu den Gewinnern der Regelung zählen. Wo mehr Geld zu Verfügung steht, finden sich die besseren Spieler; nicht nur in der Startelf, sondern auch auf der Bank. In der Premier League sollen laut «The Athletic» vor der Ligafortsetzung gerade die Teams dagegen votiert haben, die im Abstiegskampf stecken. Weil sie einen Nachteil gegenüber den Topmannschaften mit ihren Topkadern fürchteten?
Dass dieser Nachteil grundsätzlich besteht, liegt nahe. In der Bundesliga kann allein der FC Bayern Spieler der Marke Philippe Coutinho von der Bank bringen. Je größer der Umsatz eines Klubs, desto besser seine Möglichkeiten, müde Spieler durch frische zu ersetzen — ohne dabei Einbußen in Sachen Qualität hinzunehmen.
In der Bundesliga war das in den vergangenen neun Spieltagen aber nicht immer so. Als die Bayern am 32. Spieltag in Bremen Meister wurden, wechselten sie nur einmal: Lucas Hernández ersetzte Serge Gnabry. Ansonsten saßen auf der Münchner Bank: Sven Ulreich, Álvaro Odriozola, Chris Richards, Michael Cuisance, Sarpreet Singh, Oliver Batista Meier, Kwasi Wriedt und Joshua Zirkzee. Durchschnittsalter: 22,4 Jahre.
Der Qualitätsunterschied, den Uwe Rösler bei einem Wechsel von Dawid Kownacki für Kenan Karaman in Kauf nimmt, ist geringer, als der für Bayerns Hansi Flick bei einem Tausch von Joshua Zirkzee für Robert Lewandowski.
Aber das ließe sich ja ändern. Im Gegensatz zur Konkurrenz können reiche Klubs wie die Bayern auch für die hinteren Kaderplätze Topspieler holen. Langfristig dürften sie also von der Neuregelung profitieren.
Source: spiegel.de
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